Maternus predigt in Helvetum
Reist man von Sélestat/Schlettstadt in nördliche Richtung gen Straßburg folgt man dem Lauf der Ill. Mit vielen Armen mäandert der Fluß durch die weite Ebene des Großen Ried/Le Grand Ried. Etwa auf halber Strecke erreicht man Benfeld am linken Ufer der Ill. Auf der anderen Seite entdeckt man ganz in der Nähe in einem Wäldchen einen idyllischen Picknickplatz, hier steht die Maternus-Kapelle an der Marternus-Quelle. Das Wasser ist frisch und klar, denn hier sprudelt Grundwasser. Der Legende nach sind solche Löcher göttlichen Ursprungs und durch Blitze in den Boden gegraben worden, sie heißen daher ‚Donnerlöcher‘. Ein kleiner Kanal wurde 1830 angelegt für die „Wasserröstung“ von Hanf: Im Spätsommer legte man Bündel von Hanf etwa 10 Tage lang ins Wasser, die Reinheit des Grundwassers ergab eine besonders hohe Qualität.
Maternus soll der Überlieferung nach aus Rom gekommen sein, um das Elsass zu evangelisieren. Er war von Petrus zusammen mit Eucharius von Trier, Valerius von Trier und Clemens von Metz nach Gallien ausgesandt worden. Der Geschichtsschreiber und Pfarrer Jakob Twinger von Koenigshoven schreibt Ende des 14. Jahrhunderts ausführlich darüber ‚…gesant in dütsche lant bi dem Ryne‘. Im Elsass angekommen, zerstört er zunächst einen heidnischen Tempel und die Götzenbilder und ersetzt sie durch eine christliche Kirche. Er versucht, Straßburg zu bekehren, wird aber zurückgewiesen und kehrt um. Er stirbt auf dem Weg, er sei vor Erschöpfung tot umgefallen. Er wird von seinen Gefährten in Ehl, unweit des Flusses Ill, beerdigt. Seine Begleiter kehren mutlos nach Rom zurück. Petrus empfängt sie herzlich, tröstet sie und übergibt ihnen seinen Hirtenstab, bevor er sie ins Elsass zurückschickt. Maternus wird daraufhin ausgegraben, und man legt dem Leichnam den Stab des Petrus in die Hände. Laut Koenigshoven wird die Leiche ‚… noch do frisch und wol smackende…‘, frisch und gut riechend, gefunden. Nach dreißig Tagen im Grab öffnet Maternus die Augen und erwacht durch die Berührung von Petrus‘ Stab zum Leben. Er steht auf und verlässt sein Grab vor der versammelten Menge, die sofort um die Taufe bittet. Später setzt er seine Reisen fort und bekehrt die Städte Trier, Köln und Tongern. Nach der Legende habe sich das im Jahre 63 zugetragen, doch historisch lässt sich Maternus am ehesten im dritten Jahrhundert fassen. Er sei ein Vertrauter von Kaiser Konstantin gewesen, er wird als erster Bischof von Köln und dritter Bischof von Trier in diesen Städten verehrt.
Der angeblich originale Hirtenstab des Petrus soll die Macht Roms in Gallien verdeutlichen. Folglich wurde er auch immer wieder missbraucht bei Machtstreitigkeiten zwischen den Erzbistümern Trier und Köln. Sein Besitz war für den Rang als älteste Kirche in Deutschland maßgeblich. Im zehnten Jahrhundert verlangte Trier von Köln die Aufteilung, der Stab Petri wurde in zwei Teile geteilt. Im Jahr 1356 erhielt Kaiser Karl IV. ein Stück dieser wertvollen Reliquie und nahm sie mit nach Prag, um seinen neuen Dom damit zu schmücken.
Die Region um Benfeld-Ehl ist uraltes Siedlungsland, über 90 Grabhügel haben Heimatforscher vor 200 Jahren noch gefunden. Manche heißen „Heidenkanzel“ oder auch „Maternusbuckel“, weil er von dort oben gepredigt haben soll. Viele sind inzwischen eingeebnet, manche geplündert, moderne Untersuchungen gibt es nicht. Eine keltische Siedlung ‚Helkeb‘ gab es am rechten Ufer der Ill, ein Heiligtum wird vermutet. Die Römer errichteten einen großen Militärposten am Kreuzungspunkt von wichtigen Straßen und nannten ihn ‚Helvetum‘. Auf der berühmten Peutinger-Tafel ist ‚Helellum‘ eingetragen auf dem Weg von Augusta Raurica/Augst nach Argentoratum/Straßburg. Ein berühmter heidnischer Tempel hat der Sage nach hier gestanden, ein ‚Götzenbild von Mannsgröße in massivem reinen Golde und die Augen zwei großen Diamanten‘ wurde angebetet. Bei der Ankunft des Maternus sei sie vom Sockel gestürzt und von der Erde verschlungen worden, den ‚Heidengott hat man nie wieder gefunden‘. Noch im 19. Jahrhundert heißt es ‚im Volk erzählt man, dass überall in Ehl Schätze vergraben seien, deren Spuren um Mitternacht durch ein Licht oder ein blaues Flämmchen kundbar werden. Bei großem Wasser sieht man manchmal eine Kiste mit einem darauf gestellten Licht über die Wiesen hinter Ehl schwimmen…..‘. Tatsächlich sind seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Funde überliefert von Schatzsuchern und Heimatforschern. Im Fluss standen viele Holzpfähle, vielleicht Reste einer Brücke oder von Pfahlbauten. Besonders entlang des Heidensträßel gab es römische Ziegel, Scherben von verzierten Gefäßen, viele Münzen aus Erz, Silber und manchmal Gold. Man fand Bruchstücke von Altären und Figuren, Gräber mit Skeletten, die teils reichen Schmuck trugen, einige große Münzhorte. Beatus Rhenanus (1488-1547) erzählt von einem ‚Heidenkämmerlein‘ im Kloster mit einer ganzen Sammlung von Figuren und Bas-Reliefs heidnischer Götter. Manche uralten Funde sind ins Museum gewandert, doch alle Altertümer sind beim Brand der Straßburger Bibliothek 1870 verloren gegangen. All diese Funde beweisen, dass Ehl ein berühmter religiöser Mittelpunkt war, zahlreiche Werkstätten und lebhaften Handel gab es an diesem Verkehrsknotenpunkt. Im 5. Jahrhundert wurde vieles zerstört bei Überfällen von Alemannen, Vandalen und Hunnen, die gallo-römische Stadt wurde nie wieder aufgebaut. Später wurden die Steine wiederverwendet, um das Dorf Benaveldim/Benfeld zu errichten, denn die große Verkehrsstraße durch das Elsass war inzwischen auf die linke Seite der Ill verlegt worden.
Ehl blieb ein kleines Dorf, eine Petrus-Kirche vermutlich aus dem 4. Jahrhundert wurde im 10. Jahrhundert von den Ungarn zerstört, eine neue Kirche 1002 von Papst Leo IX geweiht. Hier muss das Pilgerziel gewesen sein, das vermutete Grab des Maternus. Seit dem 14. Jahrhundert gab es hier ein Kloster, immer wieder Zerstörungen, Um- und Neubauten, die letzten Gebäude wurden zerstört durch Bombardement der deutschen Truppen gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Auf dem Gelände steht heute eine christliche Bildungseinrichtung. Die Kapelle an der Quelle wurde erst 1883 errichtet in Erinnerung an Maternus, der hier die ersten Christen getauft haben soll.
Die „villa Benveltin“ wurde größer, ein Bischof von Straßburg ließ eine Stadtmauer errichten, Kaiser Albert I. erhob 1306 Benfeld zur Stadt. Im Jahr 1331 wird die Bevölkerung von den Truppen des Herzogs von Württemberg niedergemetzelt, die der Legende nach durch den Verrat des berühmten Stubbenhansel einmarschiert waren. Der schaut heute vom Uhrturm am alten Rathaus auf die Bürger herunter. Drei Uhren stehen übereinander: die kleine Uhr zeigt die Mondphasen, in der Mitte wird die Pariser Zeit angezeigt und darunter die lokale Straßburger Zeit, die etwa 29 Minuten abweicht. Begleitfiguren der Uhren sind ein Ritter, der in Gestalt des Straßburger Fürstbischofs Leopold die Klugheit symbolisieren soll und der jede Viertelstunde mit einem Hammer die Glocke anschlägt, der Tod als Sensemann, der als Hinweis auf die Vergänglichkeit ein Stundenglas dreht und über allen der Stubbenhansel soll die Gerechtigkeit symbolisieren. Heute ist das Sommerfest der Stadt nach ihm benannt.