Petronilla und Maternus unter der Linde
Auf dem Weg von Molsheim nach Norden, auf der Landstraße nach Saverne, sieht man nach wenigen Kilometern beim Dörfchen Avolsheim zwischen Feldern und Weinbergen die uralte Kirche Dompeter. Sie gilt als eine der ältesten Kirchen des Elsass. Rätselhafte Legenden und Personen ranken sich um den Dompeter, diesen wunderbaren Ort der Stille.
Auf dem Platz vor der Kirche stand seit Urzeiten eine Linde in Erinnerung an Maternus, der hier gepredigt haben soll. Einige Schritte entfernt steht ein Brunnenhäuschen aus dem 18.Jahrhundert über einer kleinen Quelle. Diese Sankt Petronilla Quelle wurde von vielen Menschen als heilbringend verehrt. Die Chronik der Jesuiten in Molsheim berichtet, dass im Jahr 1709, als in der Region ein bösartiges Fieber grassierte und viele Opfer forderte, der Pilgerstrom so stark wurde, dass die Kirche kaum die Hälfte der Bittsteller aufnehmen konnte. Auch Kranke mit Augenleiden kamen nach Dompeter, um Heilung von ihrem Leiden zu suchen. Auch soll der Brunnen der heiligen Petronilla eine wohltuende Wirkung auf Paare mit Kinderwunsch haben. Wenn man einen Zuckerwürfel in den Rahmen des kleinen Fensters legte und der Zuckerwürfel verschwand, wurde der Wunsch erfüllt.
Die Legenden um Petronilla sind rätselhaft. Manche sagen, sie sei die Tochter des Petrus gewesen, andere meinen, sie sei nur die „geistige Tochter“ des Petrus, also von ihm bekehrt. Es heißt, Petrus habe sie von ihren Lähmungen und von starkem Fieber geheilt. Eine andere Geschichte erzählt, dass sie so schön war, dass Petrus sie in einen Turm sperrte, um sie von begehrenswerten Männern fernzuhalten. Ein heidnischer König namens Flaccus wollte sie heiraten, dagegen trat Petronilla in einen Hungerstreik, an dem sie starb. Ihr Grab in den Katakomben von Rom wurde schon im vierten Jahrhundert verehrt, römische Inschriften weisen sie dort als Märtyrerin aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert aus. Doch auch in der Kirche Dompeter stand lange Zeit ein Sarkophag, den man Petronilla zuschrieb. Er diente vielen Pilgern zur Heilung, sie setzten sich gerne darauf, Fieberkranke legten sich hinein. Diesen römischen Sarkophag hatte man in der Nähe des Dompeter ausgegraben. Bei der Entschlüsselung der Inschriften entdeckten Archäologen im 17. Jahrhundert, dass es sich um das Grab einer römischen Patrizierin und nicht um das Grab der Heiligen Petronilla handelte. Doch die Realität konnte die Legende nicht besiegen. Um dem Aberglauben ein Ende zu bereiten, schenkte der Kardinal von Rohan den römischen Sarkophag dem Historiker Schoepflin, der ihn nach Straßburg transportieren ließ. Der Sarkophag und Schoepflins gesamte archäologische Sammlung gingen bei der Bombardierung der Stadt im Jahr 1870 verloren.
Der Legende nach sei Petronilla ins Elsass gereist, dabei habe sie den heiligen Maternus hier neben dieser Quelle getroffen. Maternus soll der Überlieferung nach bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus Rom gekommen sein, um das Elsass zu evangelisieren. Er war von Petrus zusammen mit Eucharius von Trier, Valerius von Trier und Clemens von Metz nach Gallien ausgesandt worden. Der Geschichtsschreiber und Pfarrer Jakob Twinger von Koenigshoven schreibt Ende des 14. Jahrhunderts ausführlich darüber ‚… gesant in dütsche lant bi dem Ryne‘. Im Elsass angekommen, zerstört er zunächst den heidnischen Tempel und die Götzenbilder in Ebersmunster und ersetzt sie durch eine christliche Kirche. Bei der Ankunft in Avolsheim im Elsass soll Maternus vor Erschöpfung tot umgefallen sein, er wird begraben. Seine Begleiter kehren mutlos nach Rom zurück. Petrus empfängt sie herzlich, tröstet sie und übergibt ihnen seinen Hirtenstab, bevor er sie ins Elsass zurückschickt. Maternus wird daraufhin ausgegraben, und man legt dem Leichnam den Stab des Petrus in die Hände. Laut Koenigshoven wird die Leiche ‚… noch do frisch und wol smackende…‘, frisch und gut riechend, gefunden. Nach dreißig Tagen im Grab öffnet Maternus die Augen und erwacht durch die Berührung von Petrus‘ Stab zum Leben. Er steht auf und verlässt sein Grab vor der versammelten Menge, die sofort um die Taufe bittet. Er gründet die Kirche „Haus des Petrus“. Aus dem lateinischen „Domus Petri“ oder „ad Dominum Petrum“ wird die Kirche Dompeter. Später setzt er seine Reisen fort und bekehrt die Städte Trier, Köln und Tongern. Nach der Legende habe sich das im Jahre 63 zugetragen, doch historisch lässt sich Maternus am ehesten im dritten Jahrhundert fassen. Er sei ein Vertrauter von Kaiser Konstantin gewesen, er wird als erster Bischof von Köln und dritter Bischof von Trier in diesen Städten verehrt.
Der angeblich originale Hirtenstab des Petrus soll die Macht Roms in Gallien verdeutlichen. Folglich wurde er auch immer wieder missbraucht bei Machtstreitigkeiten zwischen den Erzbistümern Trier und Köln. Sein Besitz war für den Rang als älteste Kirche in Deutschland maßgeblich. Im zehnten Jahrhundert verlangte Trier von Köln die Aufteilung des Stabes, der Stab Petri wurde in zwei Teile geteilt. Im Jahr 1356 erhielt Kaiser Karl IV. ein Stück dieser wertvollen Reliquie und nahm sie mit nach Prag, um seinen neuen Dom damit zu schmücken.
An diesem idyllischen Ort am Ufer der Breusch kreuzten sich die römischen Straßen von Argentoratum (Straßburg) nach Westen mit der Straße nach Tabernae (Saverne) im Norden. Hier lag eine gallorömische und später merowingische Siedlung. Die Ursprünge der Kirche Dompeter liegen im Dunkeln, gebaut vermutlich um das Jahr 1000 auf einem Gebäudefundament aus dem 5. oder 6.Jahrhundert. Überliefert ist die Weihe durch den elsässischen Papst Leo IX. im Jahr 1049. Vorübergehend wurde sie im 14. Jahrhundert zur Stadtkirche von Molsheim. Ab den 1930er Jahren engagierten sich vor allem Pfadfinder bei Sanierung und Restaurierung des verfallenen Heiligtums. Am 1. Juli 1934 wurden die Reliquien der wichtigsten Heiligen des Elsass von Pfadfindergruppen, die zu Fuß aus der ganzen Region kamen, in den Dompeter gebracht. In Erinnerung an dieses Ereignis findet jedes Jahr im Juli ein Treffen mit anschließender Messe statt, zu dem die Pfadfinder zusammenkommen. Die über 700jährige Linde hat der Sturm Lothar 1999 zerstört, aus Stecklingen hat man „Kinder“ gezogen und daraus 2000 eine junge Linde an den alten Ort gepflanzt.
Ganz in der Nähe mündet die Mossig in die Breusch, ab hier wird ein Teil des Wassers in den Breuschkanal geleitet. Dieser war 1682 von Ingeniuer Vauban angelegt worden, um Holz und Steine leichter nach Strassburg transportieren zu können. Ludwig XIV liess damit moderne Befestigungsanlagen bauen. Heute verläuft hier ein wunderbarer Fahrradweg.