Odilia und Hydulphe in der Textilfabrik
Im Tal der Meurthe, bei der Einmündung des Baches Rabodeau, wird der kleine Ort Moyenmoutier überragt von der größten Barockkirche Lothringens. Die ehemalige Abteikirche Saint-Hydulphe gehörte zu einem mächtigen Kloster. Bis vor kurzem noch ware eine große Textilfabrik in den Resten des Klosters untergebracht.
In der Kirche entdeckt man ein interessantes Gemälde „Hydulphus tauft Odilia“, vermutlich aus dem 18.Jahrhundert. Odilia war die Tochter des Eticho, Herzog des Elsass. Hydulphe, der Abt des Klosters, bekehrte und taufte die junge Odilia. Sie erhielt durch eine „besondere Gnade des Himmels und durch das Gebet bei der Taufe sowohl das Licht des Geistes als auch das des Körpers“. Tatsächlich war Odilia von Geburt an blind und erlangte ihr Augenlicht in dem Moment, in dem das heilige Öl ihre Augen berührte. Ihr Vater erlaubte ihr, sich auf einen hohen Berg namens Hohenberg zurückzuziehen, wo sie 680 ein Kloster errichtete. In Anerkennung dieses Wunders schenkte Herzog Eticho dem Kloster Moyenmoutier große Güter im Elsass. Im wunderbar geschnitzten Chorgestühl von 1698 ist die gleiche Szene dargestellt, hier ist bei der Taufe ein zweiter Heiliger dabei. Einer weiteren Legende zufolge war Erhard der Bruder des Hydulphus und Bischof von Regensburg. Er war in die Vogesenberge gekommen um Odilia zu besuchen. Nach einer anderen Legende lebte Odilia allerdings bei den Nonnen in der Abtei von Baume-les-Dames am Doubs und wurde dort von den beiden Heiligen getauft.
Hydulphus kam im 7.Jahrhundert in die Vogesen, baute sich eine Hütte im Wald um dort als Einsiedler zu leben. Sein Ruhm zog bald eine große Schar von Anhängern an, er beschloss den Bau eines Klosters. Doch alle Gebiete in der Umgebung waren bereits von anderen Eremiten besetzt: Gondelbert im Osten (Gründer von Senones), Saint Déodat im Süden (Gründer von Saint-Dié-des-Vosges) und Leudinus Bodo im Westen (Gründer des Klosters von Étival). Im Norden befand sich die Abtei Bonmoutier (Val-et-Châtillon), die von demselben Bodo gegründet wurde. Daraufhin gründete er 671 sein Kloster in der Mitte, es wurde zur Abtei von Moyenmoutier (medianum monasterium). Dieses Ensemble aus fünf Klöstern bildet das, was seit der Neuzeit als heiliges Kreuz von Lothringen oder Klosterkreuz der Vogesen bezeichnet wird. Sehr phantasievolle Legenden sind über diese Gründung überliefert: Während des Baus ihrer Klöster rufen sich Hydulphus und Deodatus in Saint-Dié einander dringende Bitten zu. Fehlende Werkzeuge werden ausgetauscht, indem sie diese gezielt in die Luft werfen. Auf wundersame Weise federn die kräftig geworfenen Werkzeuge ihren Fall in der Luft ab, so dass selbst ein Kind sie mühelos greifen kann. Im Winter schicken sie sich auf gleichem Weg Briefe durch die Luft. An jedem Pfingstmontag pflegten sich die Freunde leibhaftig auf halbem Weg zwischen ihren beiden Klöstern zu treffen. Ihre Reliquien, so hieß es früher, taten später das Gleiche auf geheimnisvolle Weise!
Die Fakten der Gründung sehen Historiker jedoch prosaischer: Die Eroberung der Vogesen durch die Peppinniden unter dem Deckmantel der königlichen Macht war langwierig und schmerzhaft, denn der Einfluss der Etichonen auf die Vogesen, den Sundgau und das Elsass mußte zurückgedrängt werden. Pipin brauchte starke Verwalter und rief die Benediktiner herbei. Sie kamen zu einer Zeit in die Berge, als die irischen und kolumbianischen Strömungen, die im 7. Jahrhundert noch einen starken Einfluss hatten, deutlich im Niedergang begriffen waren. Das Abtei Moyenmoutier kontrollierte den Weg der Saulniers, die uralte Salzstrasse von Grand an den Rhein. Der Gewinn aus der Steuererhebung wurde eine Quelle des Wohlstandes des Klosters.
In den folgenden 1.000 Jahren wurde das Kloster von den Ungarn geplündert und zerstört, später wieder aufgebaut. Eine Zeit lang gab es ein berühmte Kopistenwerkstatt, erneuten Verfall, erneute Reorganisation, dann ein starkes Engagement in der Gegenreformation. Das 18.Jahrhundert war das goldene Zeitalter der Abtei mit dem berühmten Dom Augustin Calmet als Wissenschaftler und Philosoph. Für einen Neubau der Abtei wurden viele alte Gebäude abgerissen, zehn Jahre reichten dem Architekten für ein architektonisches Meisterwerk. Mit der Einweihung der barocken Abteikirche im Jahr 1776 entsteht eines der schönsten religiösen Bauwerke Lothringens. Es ist diese dritte Abtei, die man heute bewundern kann.
Schon 20 Jahre später läutete die Französische Revolution das Ende des klösterlichen Lebens ein und „der Lärm der Maschinen ersetzte den Gesang der Mönche“. Die Textilindustrie wird 1806 von dem Engländer John Heywood, einem Baumwollpionier, in die Vogesen gebracht. Die ehemaligen Abteien von Moyenmoutier und Senones wurden zur „ersten mechanischen Baumwollspinnerei im Departement der Vogesen“. Im Lauf der Jahrzehnte wurden immer wieder mal Gebäude abgerissen, Gebäude wechselten den Besitzer, zur Blütezeit stellten die „Manufactures de Senones“ in Frankreich den größten Konzern für das Spinnen und Weben von weißer Baumwolle dar. Die Fabrik in Moyenmoutier beschäftigte bis zu 800 Personen und verfügte 1931 über eine Textilspinnerei, drei Webereien und eine wichtige Wäscherei, Färberei und Druckerei. 1989 erwarb die Gemeinde Moyenmoutier die Abtei. Ab 1994 ließ sie alle Klostergebäude unter Denkmalschutz stellen. Die industrielle Geschichte der Abtei endete 2002. Die Textilfabriken, die an den Westfassaden der Abtei angebaut waren, wurden abgerissen und das Gelände zwischen 2008 und 2010 gereinigt. Französische Gärten nehmen ihren Platz ein, sie geben den Klostergebäuden heute ihren monumentalen Charakter zurück und eröffnen der Stätte Perspektiven für die Entwicklung des Tourismus. Die Abtei bleibt jedoch eine leere Hülle. Die Klostergebäude warten noch immer auf ihre innere Sanierung. Wie sieht die Zukunft aus?