Römer pilgerten zu Quellen des Herkules
Von Saint-Dié-des-Vosges führt das Tal der Meurthe weiter nach Nordwesten in Richtung Lothringen, die umgebenden Vogesenberge werden allmählich niedriger. Auf den Spuren einer alten Römerstraße kommt man über Raon l’Étape nach Baccarat. Hier machte man von 50 Jahren eine sensationelle Entdeckung; ein gallorömisches Heiligtum, in dem Herkules verehrt wurde. Dieses Quellheiligtum ist einzigartig im ganzen Westen des römischen Reiches, nirgendwo fand man so viele Statuen des Herkules.
Das Heiligtum wurde 1974 zufällig auf einem Feld am Rande von Deneuvre entdeckt, als ein Bauer nach einer Wasserquelle für seine Herde suchte. Der örtliche Wünschelrutengänger riet ihm, wo er anfangen sollte zu graben. Als eine römische Säule zum Vorschein kam, wurde schnell klar, dass sich unter der Erde viel mehr als nur eine Quelle befand. Zwölf Jahre gab es umfangreiche Ausgrabungen unter der Leitung von Gérard Moitrieux. Der eigentliche Fundort ist Privatgelände, es gibt dort nichts zu sehen. Dafür wurde im Ort ein eigenes Museum errichtet mit einer maßstabsgetreuen Nachbildung des Heiligtums, dazu werden zahlreiche Fundstücke präsentiert und erläutert. Hier kann man wunderbar eintauchen in die rätselhafte Welt der römischen Pilger.
Das Heiligtum ist um 150 n. Chr. entstanden. Die Ausgrabungen förderten eine Reihe von fünf rituellen Becken zutage, die von zwei Quellen mit Hilfe von Holz- oder Steinrohren gespeist wurden. Zwei Becken waren durch Ziegeldächer geschützt, die auf vier Steinsäulen ruhten. Diese Becken waren von hundert Stelen mit dem Bildnis des Herkules umgeben. Pilger des Heiligtums hatten sie als Ex-votos aufgestellt, sie dienten als Abgrenzung des heiligen Raums des Heiligtums. Auch einige Statuen von Göttinnen heiliger Quellen fand man, Statuen von Merkur und der keltischen Göttin Rosmerta, Opfergaben, Schalen und sogar einen goldenen Ohrring, der wahrscheinlich an diesem Ort verloren ging. Um 375 n. Chr. wurde das Heiligtum zerstört, wahrscheinlich durch die erste christliche Gemeinde in Deneuvre. Die Akribie und die Entschlossenheit der Zerstörung lassen auf religiösen Fanatismus schließen: Die Quellen wurden verstopft, die Statuen wurden systematisch zerstört und verstümmelt, davon zeugen abgetrennte Köpfe und eingeschlagene Gesichter. Alles wurde verbrannt und die Stätte verboten, sie verwilderte und wurde allmählich vom Wald bedeckt.
Alle Statuen im Heiligtum sind aus Sandstein gefertigt, der vor Ort abgebaut wurde. Herkules ist in verschiedenen Haltungen dargestellt, der ruhende Herkules stützt sich auf seine Keule, als Kämpfer schwingt er die Keule drohend hinter dem Kopf. Der Kult des Herkules war im gesamten Mittelmeerraum verbreitet, insbesondere in den römischen Garnisonen. Er verkörperte Mut, Gerechtigkeitsdrang und körperliche Kraft, er ist der Beschützer des Volkes und der Soldaten, Hüter der Städte und der körperlichen Gesundheit. Nach Deneuvre kamen Pilger aus der ganzen Region und darüber hinaus, bis hin zum Limes entlang des Rheins. Sie legten ein Gelübde zu Herkules ab, sie suchten Heilung für ihre Krankheiten, Erfolg im Handel, eine gute Kriegsbeute oder eine gute Ernte. Archäologische Funde zeigen, dass sich die Pilger mit Hilfe von Tongefäßen reinigten und läuterten, bevor sie eine Opfergabe darbrachten. Die Opfergaben konnten einige Münzen oder ein paar Lebensmittel sein, die auf den Altären platziert wurden. Dann wartete der Pilger geduldig auf die Erfüllung seines Gelübdes. Wurde der Wunsch des Pilgers erfüllt, wurde dem Gott aus Dankbarkeit ein zweites Geschenk dargebracht. Diese Geschenke konnten je nach dem Reichtum des Pilgers viele Formen annehmen. Die Reichsten schenkten eine Steinstatue, eine Stele oder einen Altar, auf dem eine Widmungsinschrift eingraviert war, um für die erfüllte Bitte zu danken. Die Ärmsten schenkten kleinere Ex-voto wie Steine oder Fliesenstücke, auf denen sie ihren Dank ausdrückten.
Die ersten Bewohner von Deneuvre waren wahrscheinlich die Leuker, ein gallischer Stamm, der im südlichen Lothringen lebte. Der alte Name „DANOBRIGA“ ist keltischen Ursprungs, „DANO“ ist der Name einer Person und „BRIGA“ bedeutet den Berg oder das Gebirge. Das Dorf liegt auf einem Felsvorsprung, der das Tal der Meurthe überragt und den ersten Engpass des Tals bildet. Deneuvre besaß somit eine wichtige strategische Position. Etwa 58 v. Chr kamen Römer unter Cäsar in die Region, „germanische Barbaren“ wurden von ihnen zurück gedrängt, sie ließen sich in den befreiten Gebieten nieder. Die „Pax Romana“ ermöglichte den Bau eines großen Netzes von Handelswegen. Dank der römischen Straßen blühte Deneuvre auf, denn der Ort lag an einer wichtigen Kreuzung. Handel und Handwerk prägten die wirtschaftliche Entwicklung, Töpfer und Steinmetze ließen sich in Deneuvre nieder.
Ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich ein Vorort von Deneuvre: Baccarat war zunächst für seine Tuchmacher bekannt, später war der Handel mit Holz am lukrativsten, das bis nach Nancy verkauft wurde. Als der wichtigste Holzkunde der Stadt, die Saline von Rosières im Jahr 1760 schloss, erhielt der Bischof von Metz 1764 von König Ludwig XV die Erlaubnis zur Errichtung einer Glasfabrik. Die Produktion bestand zunächst aus Fensterscheiben, Spiegeln und Stielgläsern, bis 1816 der erste Kristallofen in Betrieb ging. Zu jener Zeit waren über 3.000 Arbeiter beschäftigt. Die Manufaktur von Baccarat erhielt 1823 ihren ersten königlichen Auftrag, es folgten viele weitere Aufträge für Könige und Staatsoberhäupter auf der ganzen Welt. 1855 gewann die Glasschmelze von Baccarat auf der Weltausstellung in Paris ihre erste Goldmedaille, damit wuchs der weltweite Ruhm.
Heute pilgern die meisten Besucher zu den Kristallgläsern von Baccarat und nicht mehr zu Herkules.