Der Weg des Deodat in die Vogesen
Saint-Dié-des-Vosges ist eine nette Kleinstadt im Tal der oberen Meurthe, rings umgeben von bewaldeten Vogesenbergen. Das moderne Stadtbild ist geprägt vom Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, nachdem deutsche Truppen beim Abzug 1944 die Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten. Umso mehr überrascht eine sehr reichhaltige Geschichte dieses uralten lothringischen Städtchens. Keltische Stämme lebten schon hier, zwei wichtige Römerstraßen kreuzten sich im Tal.
Im 7. Jahrhundert ließ sich der legendäre Deodat ( auch Diedel / Saint Dieudonné / Saint Dié ) hier nieder. Seine Geschichte ist im Dunkel zahlreicher Legenden schwer zu rekonstruieren. Seine Heiligenvita wurde erst einige 100 Jahre später geschrieben, teilweise verfälscht im Machtkampf und Glaubenskampf der Benediktiner gegen die alten iroschottischen Mönche. Deodat lebte um 600 herum im Wald von Haguenau bei Arbogast und Florentius, alle drei waren iroschottische Wandermönche. Später wirkte er einige Jahre im Kloster Ebersmünster. Irgendwann zog es ihn wieder in die Einsamkeit, er lief über die Vogesen, der uralte Pass ‚Col du Bonhomme‘ und das Dorf Bonhomme, früher ‚Diedelshausen‘, sind nach ihm benannt. Der Legende nach verirrte er sich hier oben im Nebel. Er warf seine Axt, diese durchbrach den Nebel und landete im Tal, wodurch eine mächtige Quelle entsprang. Deodat ließ sich dort als Einsiedler nieder, er redete mit Geistern und Feen, die heilige Huna vom Elsass schickte ihm Lebensmittel. In einer anderen Version schickte Gott jede Woche einen Esel mit Futter beladen und ihm. Am Fuß des St. Martin-Felsens stand seine Einsiedlerzelle, ebenso ein Oratorium für St.Martin. Die Quelle war eisenhaltig und Ort eines keltischen Heiligtums des Teutates. Später gab es hier Klosteranlagen, im 19. Jhdt. versuchte man in Thermenanlagen das eisenhaltige Wasser des Saint-Martin-Brunnens zu nutzen. Nur die Kapelle ‚Petit Saint-Dié‘ aus dem 15. Jahrhundert ist davon übrig geblieben.
Zahlreiche Schüler und Pilger strömten zu Deodat, das Tal östlich von St. Dié nannten sie das ‚Tal von Galiläa‘, sie wollten ein Kloster neben seiner Ensiedelei bauen. Die Legende erzählt, wie einem frommen Bruder im Traum die Maria erscheint und einen anderen Ort wünscht. Auf diesen himmlischen Rat wurde auf der anderen Talseite sofort ein neues Heiligtum auf dem Hügel ‚Jointures‘ errichtet und der Jungfrau Maria geweiht. Daneben entstand um 670 das Kloster ‚Juncturae / Jointures‘, wohl auch durch die politische Unterstützung der ostfränkischen Herrscher. Immer wieder brannten die Gebäude ab, 1155 wurde die große Klosterkirche errichtet, ein wunderschönes Beispiel lothringischer Romanik. Beide Kirchen sind verbunden durch einen schönen gotischen Kreuzgang. Die kleine Kirche ‚Unsere Liebe Frau von Galiläa‘ enthielt unter dem Ancien Regime eine beeindruckende Menge an Ex-Votos. An den Wänden des Heiligtums waren Ketten und Kanonenkugeln aufgehängt, Waffen von Soldaten, die vor Scharmützeln oder Schlachten fliehen konnten. Die Legenden schrieben der Maria und dem heiligen Deodat die wundersame Heilung von vielen kleinen Kindern zu. Die Volkstradition behauptete, dass Deodat eine sofortige Auferstehung der kleinen Seele erlaubt, zumindest bis zur Zeit der Taufe, damit sie durch das Taufwasser aus der Vorhölle gerettet werden kann. Eine einzige Votivtafel ist erhalten, zu sehen in der Kirche von Fraize, eine sehr erschütternde Darstellung der damaligen Glaubenswelt.
Alles andere wurde in der Revolution zerstört, die kleine Kirche 1797 zum Verkauf angeboten. Doch Michel Antoine Lallemend, Bürgermeister des Vorortes Saint-Michel, rettete die Kirche vor dem Verfall, indem er sie zurückkaufte und am 14. März 1805 dem Klerus zurückgab. Eine ausführliche Beschreibung der großen Geschichte dieser kleinen Kirche wurde 1894 von Pater Edmond L’Hôte verfasst. Dort ist auch aufgezeichnet, wie 1892 der neue Hochaltar des Chors installiert wurde. Die ‚Schwarze Madonna von Saint Dié‘ ist somit eine ganz moderne Zutat. Diese Darstellung der ‚Jungfrau mit Kind‘ ist von der Maria des Tympanons des Portals Saint-Anne an der Westfassade der Kathedrale Notre-Dame de Paris inspiriert.
Das Kloster von St. Didel hatte sich im Mittelalter zu einem Zentrum der humanistischen Bewegung entwickelt. Dort schloss sich Martin Waldseemüller nach dem Studium in Freiburg einem kleinen Kreis von Gelehrten an, der sich selbst als ‚Gymnasium Vosagense‘ bezeichnete. Das bekannteste Werk Waldseemüllers ist die von ihm mit Hilfe seines Partners Ringmann 1507 erstellte Weltkarte, auf der der neue Kontinente im Westen nach Amerigo Vespucci mit dem Namen „America“ bezeichnet wurde.
Die Kathedrale wurde 1944 von deutschen Truppen gesprengt, später hervorragend wieder aufgebaut, moderne Glasfenster zieren seit 1980 den Chor. Im nördlichen Seitenschiff zeigen gerettete Glasfenster aus dem 13. Jahrhundert Szenen aus dem Leben des Deodat.