Maskentreiben beim Eierleset
Das «Eierleset» ist ein spektakulärer Kampf zwischen den «Grünen», die den Frühling verkörpern und den «Dürren», die für den Winter antreten. Dieser uralte Frühlingsbrauch versinnbildlicht das Erwachen der Natur, den Sieg des lebensfrohen Frühlings über den abgehenden Winter. Volkskundler nehmen an, dass der Brauch aus alten Vegetationskulten hervorgegangen ist, die sich im Lauf der der Zeit zu einem rituellen Spiel gewandelt haben, heute ein lebhaftes, lärmbegleitetes und lustiges Spiel. Dieser spektakuläre Anlass findet alle zwei Jahre statt, jeweils am Weißen Sonntag. Der Ort des Schauspiels ist der Ortskern von Effingen im Fricktal, das alte Weinbauerndorf am Nordfuß des Bözberges.
Der Turnverein ist Organisator des Eierlaufs. Bereits Wochen zuvor beginnen die Vorbereitungen. Die Kostüme werden aus dem Fundus geholt, aufgebessert und angepasst. Zu den „Grünen“ gehört der „Jasschärtler“, das Kleid besteht aus vielen Hundert Spielkarten. Und Stunden braucht es schließlich, um die Stechpalmen und Tannenzweige zu besorgen, in denen am frühen Sonntagmorgen „Stechpälmler“ und „Tannästler“ eingebunden werden. Viel Sorgfalt brauchen auch die „Dürren“, das Kostüm des „Schnäggehüsler“ besteht aus lauter leeren Schneckenhäusern. Viel Arbeit macht auch der „Hobelspänler“, dessen Ringellöckchen für sein Holzkleid fachmännisch gedrechselt werden müssen – das sind die „Dürren“. Und der „Straumuni“ muss direkt am Körper zusammengenäht werden, er wird als letzter mit bis zu 30 Kilo leergedroschenem Stroh vollgestopft. Einen Dickwanst, der alle Nichtigkeiten der Welt verkörpern soll, auch den Winter, von dem sie jetzt in Effingen die Nase voll haben.
Punkt 14 Uhr erwarten Tausende bei gutem Wetter hinter den Absperrbändern die maskierte Schar auf Effingens Dorfstrasse. „Nun will ich Euch an Eure Pflichten mahnen, und schicken Euch auf Eure Bahnen“, lautet der Spruch, mit dem der Eier-Pfarrer Läufer und Reiter hoch zu Ross auf Tour schickt. Den Reiter in die Nachbarschaft, den Läufer zum Eierlesen auf die Dorfstraße, wo im Abstand von einem Meter 162 Eier in kleinen Sägemehlkuhlen ausgelegt wurden. Eier, die es eines nach dem anderen einzeln aufzuheben und in eine mit Spreu gefüllte Wanne am Ende der Dorfstraße zu legen gilt. Während der Läufer so rund zehn Kilometer hin- und herläuft, muss sein Kontrahent, der Ritter in vier Nachbardörfer reiten, in einem dazu noch in der Dorfwirtschaft einkehren.
Neben dem Auflesen der Eier beginnt der symbolische Kampf des Frühlings gegen den Winter. Unterstützt werden die Frühlingsboten von einem maskierten Hochzeitspärchen und dem „Hienermaa“. Früher hielt er eine Henne in den Armen, um allen zu zeigen, wo die Eier herkommen – und damit die Fruchtbarkeit, die im Volksglauben mit dem Eieressen bis heute verbunden ist. Die Winterboten begleitet ein greises Pärchen. Der „Alte“ und die „Alti“, das Gegenstück zum jungen Brautpaar. Als Richter im Kampf der Jahreszeiten fungieren die dörflichen Autoritäten, die „Neutralen“, ein „Pfarrer“ und ein „Polizischt“ – dazu fünf Herren des Turnvereins in schwarzen Anzügen – der sogenannte Fünferrat – ehemalige Trägern der teilweisen schweren Kostüme.
Die Wilden toben ausgelassen, nebenan klaubt der Läufer die letzten Eier von der Dorfstraße. Ganz in Weiß verkörpert er den jungen, frischen Frühlingsboten. Erst wenn das letzte Ei in der Wanne liegt, darf der Reiter ins Dorf einziehen. Undenkbar nämlich ist, dass in Effingen der Winter über den Frühling siegt – auch wenn eine gute Stunde weiter südlich in den Alpen noch die Skifahrer unterwegs sind.