Rätsel der Frankenburg
Reist man von Sélestat nach Westen, öffnet sich in der Kette der Vogesenberge das große weite Tal des Giessen. Der Eingang wird gleich von mehreren Burgen bewacht. Nördlich thronen eindrucksvoll die Ruinen von Burg Ramstein und Burg Ortenberg, südlich erhebt sich weithin sichtbar die Haut-Koenigsbourg. Sie ist heute die meistbesuchte Burg des Elsass. Von 1901 bis 1908 ließ der deutsche Kaiser Wilhelm II. die Ruine restaurieren. Knapp dahinter liegt die Ruine Oedenburg, auch Klein-Königsburg genannt. Das Tal teilt sich nach wenigen Kilometern – nördlich verläuft das Tal von Villé, südlich das Tal von Lièpvre. Und genau hier liegt die Frankenburg. Die Ruine auf dem 703 Meter hohen Gipfel des Schlossberges ragt kaum aus dem dichten Wald heraus. Zahlreiche Rätsel und Geheimnisse birgt die Frankenburg, die älteste dieser Burgen.
Eine Legende berichtet, dass Chlodwig, König der Franken, die Burg um das 5. Jahrhundert herum erbaute, als er das Elsass eroberte. Er ließ die Burg auf einem Plateau über den beiden Tälern Lièpvre und Villé errichten, um den Durchzug seiner Truppen zu sichern. Auf der Burg versprach Chlodwig seiner Frau Clotilde, dass er zum Gott der Christen konvertieren würde, wenn dieser ihm zum Sieg in einer Schlacht gegen die Alemannen verhelfen würde. Während der Schlacht betete seine Frau Clotilde in der Burgkapelle um den Sieg und für die Bekehrung ihres Mannes. Nach seiner Bekehrung zum Christentum soll Chlodwig die drei Kröten seines Wappens durch drei Lilien ersetzt haben, die später zum Wappen der Könige von Frankreich wurden. Der Elsässer Daniel Specklin behauptet 1589 in seinem berühmten Werk Architectura, dass er in der Burgkapelle auf einem bemalten Glasfenster noch das erste Wappen der Franken gesehen habe: drei schwarze Kröten auf einem silbernen Grund.
Die Burg entstand vermutlich am Anfang des 12. Jahrhunderts, sie wurde erstmals 1143 als Eigentum der Grafen von Frankenburg erwähnt, die sich ab 1189 Grafen von Werd nannten. Im Jahr 1196 erwarb die Familie Werd das Amt des „Landgrafen des Niederelsass“ und damit die Funktion des Repräsentanten des Kaisers. Da sich die wirtschaftliche Situation der Grafen verschlechterte, verpfändeten sie die Burg. Nach dem Aussterben der Grafen verkauften deren Erben die Frankenburg 1359 an das Bistum Straßburg. Zwischen 1393 und 1489 verpfändete das Hochstift Straßburg die Burg im schnellen Wechsel an verschiedene Familien. Doch eine verpfändete Burg verfiel meistens sehr rasch, da die Pfandbesitzer möglichst wenig Mittel für den Erhalt des gepfändeten Besitztums aufbringen wollten. 1489 übernahm das Straßburger Domkapitel alle Anteile. Im Jahr 1587 brannte die Burg durch Blitzschlag ab, wurde jedoch in Folge wieder aufgebaut. In der Zeit des 30jährigen Kriegs (1618-1648) war sie noch bewohnt, doch sie war im schlechtem Zustand, verfiel zusehends und wurde dann aufgegeben. Seit der Französischen Revolution ist die Burg Eigentum des Staates. Freiwillige haben in den 1970er und 1980er Jahren die Ruine freigelegt und gesichert, der Bergfried wurde 1981 wiederhergestellt.
Beim letzten Anstieg zur Burg entdeckt man einige Dutzend Meter unterhalb der mittelalterlichen Anlage eine „Heidenmauer“! Große, behauene Sandsteinblöcke sind aufeinandergeschichtet, in die Blöcke sind Aussparungen eingehauen, um sie mit schwalbenschwanzförmigen Holzzapfen zu verbinden. Ursprünglich verlief sie um den ganzen Schlossberg, erhalten sind zwei Abschnitte von 100 bzw. 120 Metern. Der Name Heidenmauer soll schon auf Papst Leo IX. zurückgehen. Mehrere Heimatforscher beschreiben sie im 19. Jahrhundert, alle betonen die Verwandtschaft mit der Heidenmauer auf dem Odilienberg, dieselbe Bautechnik mit Zapfen und Zapfenlöchern. Nur die Fläche des verschanzten Lagers im Schutz der Mauer unterscheidet sich deutlich: 118 Hektar für den Mont Sainte-Odile, weniger als 2 Hektar für den Schlossberg. Wer hat sie erbaut? Wann wurde sie erbaut? Wozu wurde sie erbaut?
Ende 2002 sind die Behörden zu Recht besorgt über die Untaten von „Schatzsuchern“, die das Gelände mit Metalldetektoren absuchen. Es wird eine Präventivkampagne gestartet. Das entdeckte Material ist sehr reichhaltig und deckt die keltische, römische, mittelalterliche und neuzeitliche Periode ab. Seit 2014 finden nun systematische Ausgrabungen statt von Clément Féliu und seinem Team. Im Maison du Val de Villé in Albé sind die markantesten Funde ausgestellt. Spuren von keltischer Metallverarbeitung wurden gefunden; Fibeln, Münzen und Keramik geben ein umfangreiches Bild von über 2000 Jahren Nutzung des Schlossbergs. Besonders rätselhaft ist eine etwa 5 Zentimeter große Bronzefigur eines Stiers mit drei Hörnern. Der Stier ist in stolzem Habitus mit aufrechtem Kopf dargestellt, mitten aus der Stirn ragt das dritte Horn. Über die Bedeutung solcher Stierfiguren ist bereits viel gerätselt worden, sie tragen sicher einen symbolisch-mythischen bzw. sakralen Charakter in der keltischen Welt.
Auf der Heidenmauer fanden die Archäologen an einem Abschnitt Reste einer zweiten kleineren Mauer. Diese war gemörtelt, im Mörtel befand sich Holzkohle. Die C14-Analyse ergab eine Datierung aus dem dritten Jahrhundert – also ist diese Mauer römisch! Damit muss diese Heidenmauer älter sein – doch das steht im Widerspruch zu den jüngsten Datierungen des Odilienbergs.
Die Nutzung der Frankenburg in keltischer und römischer Zeit ist nicht geklärt. Eine Nutzung als dauerhafter Wohnort ist unwahrscheinlich, da er keine ausreichenden Wasserstellen bietet. Er könnte den Bewohnern der Täler während der Barbarenüberfälle als Zufluchtsort gedient haben. Einige Autoren sehen hier eher eine Kultstätte, die von einigen Druiden besetzt war. Vielleicht war es auch ein weithin sichtbarer Prestigeort. Ein Gipfel mit einer Burg, der abgeholzt und von einer massiven Mauer umgeben war demonstrierte den Reisenden die Macht des Stammes, der dieses Gebiet beherrschte. Noch sind viele Rätsel nicht gelöst.
Nach der Wanderung auf dem Schlossberg mit der Ruine Frankenburg könnte der Weg von hier noch weiter gehen. Bestens ausgeschilderte Wanderwege führen immer weiter hoch auf das Massiv des Altenbergs, zum Kuckucksfelsen, zum Feenfelsen. Immer schöner wird die Aussicht auf die beiden Täler. Das Tal von Lièpvre heißt heute meist Silbertal wegen der vielen reichen Erzbergwerke des Mittelalters. Das weite Tal von Villé ist heute gekennzeichnet durch Obstbau und die daraus hergestellten Obstbrände. Schon vor vielen Jahrhunderten zogen hier die Salzhändler aus Lothringen durch.