Neuf-Brisach - Biesheim
Einige Kilometer nördlich von Biesheim stehen rätselhafte Schilder am Straßenrand: MONUMENT HISTORIQUE – SITE GALLO-ROMAIN CLASSÉ. Weit und breit nur Ackerland, ganz leicht hügelig, meistens Maisfelder – im Osten grüßen von Ferne die Vulkanberge des Kaiserstuhls. Das große Rätsel wird gelöst im Musée Gallo-Romain im Zentrum von Biesheim. Dieses kleine feine Museum zeigt die Funde, die auf dieser ‚Site Gallo-Romain‘ in den letzten 50 Jahren gemacht wurden. Die Ausstellung ist in verschiedene Themenbereiche gegliedert, sensationelle Fundstücke sowie Fotos, Karten und Texte lassen die verschwundene Welt der Römer wieder aufleben.
Vor 2000 Jahren gab es hier in der Nähe von Biesheim zwei Legionslager nacheinander. Auf der Peutinger-Karte, einer römischen Straßenkarte, ist auf halbem Weg von Basel (Arialbinum) nach Straßburg (Argentoratum) dieser Ort Argentovaria (?) verzeichnet. Eine weitere Fernstraße kam aus Westen von Metz, kreuzte hier und überquerte dann den Rhein bei Sponeck-Jechtingen und führte weiter nach Riegel, später querte sie den Rhein südlich des Kaiserstuhls bei Breisach.
Die strategische Lage war ein wichtiger Aspekt für die römische Armee zur Gründung des Ortes. Die militärische Ansiedlung um 15-20 n. Chr. auf einer kiesigen Insel zwischen den vielen Armen des Rheins bot guten Schutz. Sie ermöglichte aber auch durch eine an das Lager angrenzende Fahrrinne direkten Zugang zum Hauptbett des Rheins. Die Ausgrabung der Legionslager ergab eine Vielzahl von Elementen, die zur Ausrüstung der Infanteristen gehörten: Teile des Brustpanzers, des Helms, des Gürtels, Waffen wie Pilum, Dolch, Schwert, Plumbata etc.. Darüber hinaus zeigt sich die militärische Präsenz durch zahlreiche Legionsziegel, die mit der Marke und dem Namen der herstellenden Legion gestempelt sind. Eine Auswahl an Münzen veranschaulicht die Bedeutung des Handels, da die militärische Logistik einen beträchtlichen Nachschub an Nahrungsmitteln und Fertigprodukten voraussetzte, die die Armee beschaffen und importieren musste. Sogar Pfefferkörner aus Indien waren nach Argentovaria geliefert worden!
Die römische Zivilsiedlung hat sich jedoch nicht um dieses frühe Kastell, sondern ab 20 n. Chr. rund um einen Tempelbezirk herausgebildet. Sie lag etwas höher und damit geschützter vor den Hochwassern des Rheins. Schon im 1. Jahrzehnt n.Chr. war auf einer Kiesinsel mit der Einrichtung eines heiligen Bezirks begonnen worden. Möglicherweise wurde er über einem noch älteren keltischen Heiligtum (?) errichtet, da das Areal in der Antike von Sümpfen und einem Rheinarm umgeben war. Die Kelten bevorzugten bei Anlage ihrer heiligen Stätten solche topographischen Gegebenheiten, da sie Moore und Seen zur Versenkung ihrer Opfergaben benötigten. Besonders eindrücklich ist eine hölzerne anthropomorphe Stele aus dieser frühen Zeit. Sie erinnert an keltische Exvotos aus Quellheiligtümern in Gallien. Bis zum 3. Jahrhundert entstanden in diesem heiligen Bezirk vier Umgangstempel und zehn weitere Kultgebäude.
Viele religiöse Praktiken sind untrennbar mit der Präsenz der Armee verbunden und werden durch eine Reihe von Bronzestatuetten mit Gottheiten aus dem griechisch-römischen Pantheon sichtbar: Mars, Bacchus, Herkules. Ein Heiligtum für die Götter Apollo und Merkur wurde anhand einer Inschrift entdeckt. Eine der Besonderheiten ist die frühe Einführung orientalischer Religionen, die von den Legionären und den aus dem Osten zurückgekehrten Händlern mitgebracht wurden. Diese religiöse Entwicklung wird durch eine Isis-Statuette aus vergoldetem Silber auf einem Bronzesockel deutlich, sie stammt aus dem Militärlager. Sie ist an ihrem Kopfschmuck aus Kuhhörnern, die eine Sonnenscheibe umgeben, und an den Attributen der Göttin zu erkennen: Füllhorn und Steuerruder.
Östlich der Stadt stand ein Mithräum und diente zur Verehrung des persischen Lichtgottes Mithras, dessen monotheistischer Kult besonders unter den Soldaten beliebt war. Das Gebäude hatte einen langen rechteckigen Grundriss, war nach Norden ausgerichtet und bestand aus drei Kulträumen. In einer Nische am Nordende des Gebäudes fanden sich noch Kalksteinfragmente eines Reliefs, das die Gottheit bei der Tötung eines Stiers zeigte. Das Mithräum in Biesheim gehört wohl in die rein zivile Phase der Siedlung nach Abzug der Garnison um 70 n.Chr. Den Münzfunden nach zu schließen, wurde das Heiligtum am Ende des 3. Jahrhunderts n.Chr. zerstört.
Das Prunkstück der Museumssammlung ist eine Gemme, aufgrund seiner Größe und der Qualität seiner Gravur ein ganz außergewöhnliches Schmuckstück. Die fein gravierte Szene zeigt Kaiser Commodus, der auf einem sich aufbäumenden Pferd reitet und eine Frau mit seiner Lanze niederstreckt. Der Stein wird auf das 2. Jahrhundert n. Chr. datiert, dargestellt wird damit wahrscheinlich die Eroberung einer Provinz im Orient, vermutlich Armenien. Mit solch einer gewaltigen Machtdemonstration wird der Herrschaftsanspruch zu den Glanzzeiten des römischen Reichs dokumentiert. Der Stein war vielleicht das besondere Geschenk für einen verdienstvollen Heerführer. In der Merowingerzeit wurde der Stein zu einer Gewandnadel mit einer Goldplatte und drei Glaspaste-Cabochons verarbeitet.
Ein Archäologe des 19. Jahrhunderts träumte noch mit einem Hauch von Romantik vor Augen: „Wäre der Rhein hier nicht vorbeigezogen, hätte seinen natürlichen Damm gebrochen und die römische Stadt verschlungen? Die Baustelle, die Töpferwerkstatt, die Ziegelei wurden schnell überschwemmt; die Bevölkerung floh wie in Pompeji und überließ dem Wasser, was sie nicht retten konnte?“ Inzwischen wissen wir, dass Oedenburg nicht das Pompeji des Elsass war. Der Ort bestand auch nach Abzug der römischen Soldaten weiter. Entlang der ehemaligen römischen Straße nach Horbourg wurde eine merowingische Nekropole ausgegraben. In den Ruinen der römischen Festung fand man Reste von zwei Kirchen aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in Urkunden aus jener Zeit wird ein Ort Oedenburgheim oder Oedenburg (Edenburg) erwähnt. In einem Brief des Magistrats von Breisach an den Magistrat von Colmar vom 10. Januar 1609 wird Martin Hertnit, ein Einsiedler in Oedenburg, erwähnt: „unßer Underthon unnd Bruoder zue Ôdenburckheim“. In einem Streit stellte sich Breisach auf die Seite des armen Mannes: „alß ein bluotarmen gesellen“, dem Recht gegeben werden sollte. Seine Einsiedelei grenzte möglicherweise an die alte Kirche des Ortes, die in Verfall geraten war. Seine Anwesenheit an diesem Ort ist insofern symptomatisch, als Eremiten die Einsamkeit liebten.
Im Jahr 1618 begann einer der verheerendsten Kriege, der Dreißigjährige Krieg, der für die Reste der Ortschaft tödlich endete. Die Stadt wurde, ebenso wie Biesheim, während der Belagerung von Breisach im Jahr 1638 verwüstet und sollte nie wieder aus der Asche auferstehen. Dennoch ließ Merian 1643 in seiner „Topographia Alsatiae“ auf seiner Ansicht von Colmar noch Reste des Dorfes und insbesondere der Kirche erkennen. Im 18. Jahrhundert war die Kirche zumindest teilweise noch vorhanden. So berichtet Dr. Morel aus Colmar 1789 im Almanach d’Alsace von den noch immer imposanten Ruinen und den Steinmassen, die man dort abholte, um sie zum Bauen zu verwenden. In einem Manuskript von 1877 zeichnet Antoine Cestre den Zustand des Rheins im 19. Jahrhundert mit seinen zahlreichen Inseln und den Stand der Überschwemmung von 1852, dort ist die genaue Lage des antiken Castrum Oedenburg und der Ort Altkirch eingezeichnet.
Vor 50 Jahren begannen engagierte Forscher der Association Archéologie et Histoire de Biesheim unter der Leitung von Patrick Biellmann mit langjährigen und intensiven Prospektionen. Eine ausgedehnte römische Siedlung sowie frühkaiserzeitliche und spätantike Militäranlagen wurden vermutet. Moderne geomagnetische Prospektionen lieferten Spuren mit einer Ausdehnung von über 200 Hektar. Zwischen 1999 und 2006 konnte daher ein trinationales Grabungs- und Forschungsprojekt „Oedenburg“ durchgeführt werden. Die École Pratique des Hautes Études Paris IV (EPHE), die Universität Freiburg/Br. und die Universität Basel waren daran beteiligt. Nach 400 Jahren voller Kriege am Oberrhein haben Forscher über Grenzen hinweg zusammen gearbeitet. Sie haben faszinierende Entdeckungen gemacht, diese sind im Museum von Biesheim eindrucksvoll ausgestellt.