Der Drei Frauen-Kult im Sophia-Kloster
Wenige Kilometer südlich von Straßburg liegt der kleine Ort Eschau. Hier steht die zweitälteste Kirche des Elsass. Saint-Trophime ist ein faszinierendes großes Bauwerk der frühen elsässischen Romanik. Das Spiel mit Formen und Dimensionen ist charakteristisch für die ottonische Architektur. Das Mittelschiff ist doppelt so breit wie die Seitenschiffe. Die rechteckige Vierung wird von zwei hohen und zwei niedrigeren Blendbögen begrenzt. Das Querschiff ist niedriger als das Langhaus, das gesamte Gebäude weist gezimmerte Decken auf. Nur die Apsis hat ein Kreuzgewölbe, mit monumentalen Ausmaßen schließt sie direkt an die Vierung an. Diese wunderschöne frühe romanische Architektur begeistert jeden Besucher. Im Seitenschiff steht auf kleinen Säulen ein gotischer Schrein aus Sandstein aus dem frühen 14.Jahrhundert. Hier werden Reliquien aufbewahrt von Sophia und ihren drei Töchtern Fides (Glaube), Spes (Hoffnung) und Caritas (Liebe). Er trägt die Spuren von verwitterten Zeichnungen und Reliefs, die das Leben der Märtyrerinnen in einigen Szenen erzählen. An der Wand über dem Reliquiar befinden sich in leuchtenden Farben die geschnitzten Bilder der heiligen Sophia und ihrer drei Märtyrertöchter. Christophorus und der Gründer der Abteikirche, Bischof Remigius von Straßburg, stehen ihnen zur Seite.
Die heutige Kirche stammt im Wesentlichen aus der ersten Hälfte des 11.Jahrhunderts. Bis zur französischen Revolution war sie Abteikirche des Benediktinerinnenklosters Sainte-Sophie. Das erste Kloster war hier schon 770 gegründet worden durch Bischof Remigius von Straßburg. In einer Chronik von 1592 heißt es „…um den Ruhm der Abtei zu vervollständigen, reiste Remigius nach Rom, um von Papst Hadrian Reliquien zu erhalten, die den Eifer und die Spenden der Gläubigen anzogen. Hadrian gewährte ihm den Körper der Hagia Sophia und die Körper ihrer drei Töchter.“ In seinem Testament schreibt Remigius „…(Er) habe sie selbst aus Rom in diese Region gebracht, auf seinen Schultern, mit großem Pomp, und in der dem heiligen Trophimus geweihten Abteikirche am 10. Mai 777 niedergelegt. …“ In seinem Testament schenkte er 778 die Abtei der bischöflichen Kirche von Straßburg, nach seinem Tod wurde er in der Abteikirche beigesetzt.
Die Abtei wurde 926 von den Ungarn zerstört, später im Auftrag des Straßburger Bischof Widerold wieder aufgebaut. Im Jahr 1130 wurde ein repräsentativer Kreuzgang gebaut. Bei umfangreichen Bauarbeiten im 19.Jahrhundert wurden dessen Überreste entdeckt. Die romanischen Kapitelle sind ein wahres Bilderbuch der heiligen Geschichte. Die Überreste wurden nach Strasbourg gebracht und dort restauriert, im Musée de l’Oeuvre Notre-Dame kann man sie bewundern. Die Reliquien der Heiligen Sophia und ihrer Töchter zogen zu Beginn des 12.Jahrhunderts eine große Anzahl von Pilgern ‚aus allen Teilen der Welt‘ an. Die Äbtissin Kunigunde gründete daher 1143 ein Hospiz. Zusammen mit dem klösterlichen Heilpflanzengarten ermöglichte es die Behandlung der vielen Pilger, die in diese Gegend kamen. Für das Nonnenkloster brachten Bauernkrieg, Reformation und Schwedenüberfälle immer wieder große Schwierigkeiten. Die Revolutionäre versteigerten 1792 die Klostergebäude für 10.100 Pfund. Der Weinausschank, den das Straßburger Großkapitel dort eingerichtet hatte, wurde zum Gasthaus. 1822 wurden das Gasthaus und die Überreste des Klosters abgerissen. Die Reliquien gingen in der Revolution verloren, 1938 brachte der Bischof von Straßburg neue Reliquien von Sophia und ihren drei Märtyrerinnen.
Die Legende erzählt von einer reichen römischen Witwe Sophia und ihren christlich erzogenen Töchtern, den drei heiligen Jungfrauen Fides, Spes und Caritas. Aufgrund ihres christlichen Glaubens wurden sie von Kaiser Hadrian um 137 n.Chr. gefangen genommen, gefoltert und schließlich im Alter von 12, 10 und 9 Jahren enthauptet. Die Mutter Sophia starb drei Tage später, nachdem sie ihre Töchter beigesetzt hatte, an ihrem geistigen Martyrium, da sie den Folterungen und Hinrichtungen ihrer Töchter zusehen musste. Dieses Martyrium wurde in viele Sprachen übersetzt und fand etwa ab dem 6.Jahrhundert weite Verbreitung. Im 7.Jahrhundert fand man in Rom das Grab einer Sophia und ihrer drei Töchter auf einem Friedhof an der Via Aurelia, andere berichteten von einem Grab der ‚Sapientia‘ in den Calixtus-Katakomben. Der Papst ließ die Gebeine in verschiedene Kirchen Roms übertragen. Historisch lässt sich keine der Personen fassen, vermutlich schuf die Verehrung allegorische Figuren von Weisheit und den drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. In Byzanz und der slawischen Welt wurde die Heilige Sophia als Personifikation der göttlichen Weisheit Gegenstand großer Verehrung. Der byzantinische Kaiser Justinian gab der großen Kirche in Konstantinopel im 7.Jahrhundert den Namen ‚Hagia Sophia‘. Zahlreiche Sophien-Kirchen gibt es heute in der orthodoxen Kirche.
Von Eschau aus verbreitete sich die Verehrung dieser Drei Frauen im damaligen Frankenreich. Im Rheinland fand der Kult große Bedeutung, so waren in Köln die ‚Drei Jungfrauen‘ im 11.Jahrhundert „Gegenstand der frommen Verehrung“, wie ein Bleisiegel des Kölner Erzbischofs Pilgrim zeigt. Auch in manchen Orten der Eifel werden die drei Jungfrauen verehrt, in Weilerswist pilgern die Menschen bis heute zu Fides, Spes und Caritas. Sie gelten als Helferinnen der Frauen, wie auch als Bauernheilige und als Beschützer der Haustiere. In Weilerswist wurde im 9.Jahrhundert die erste Kirche über einem römischen Berg-Heiligtum für die Drei Matronen errichtet. Auf Weihesteinen für die Drei Matronen haben die Römer diese drei Frauen in landesüblicher Tracht dargestellt, in den Händen halten sie oft einen Korb mit Früchten. Schon seit Menschengedenken hatten diese drei Göttinnen Land und Leute beschützt, daher übernahmen die Römer die Verehrung dieser gütigen göttlichen Frauen. Für Kelten und Germanen symbolisierte die Dreizahl übernatürliche Kraft und Vollkommenheit. So finden sich in der Verehrung von Fides, Spes und Caritas noch uralte Spuren einer matriarchalen Mythologie.
Eschau wurde in den letzten Jahrzehnten auch zu einem orthodoxen Pilgerziel. Nicht nur Russen aus der Diaspora, immer mehr Pilger kommen sogar direkt mit dem Bus aus Russland (Moskau, St.Petersburg, Minsk,….), sie feiern gemeinsam Gottesdienst. Bei einem Pilgergottesdienst erklärte ein orthodoxer Priester den besonderen ökumenischen Gedanken: „Die gemeinsame Verehrung derselben Heiligen, das sind Schlüssel, um verschlossene Schlösser zu öffnen. Was 1504 in der Hagia Sophia in Konstantinopel zwischen Orthodoxen und Katholiken zerbrach, kann bei der Hagia Sophia in Eschau ein wenig wieder aufgenommen werden.“
Das Frauenkloster Eschau war von Remigius vor 750 Jahren auf einer Insel inmitten der vielen Arme von Rhein und Ill gegründet worden. Davon ist heute kaum noch etwas zu sehen. Doch im Überschwemmungsgebiet des Grand Ried gibt es noch viele Feuchtwiesen und Auwälder. Zahlreiche Wasserläufe durchziehen diese einzigartige Naturlandschaft, in der auch unzählige seltene Tier- und Pflanzenarten beheimatet sind. Das bestimmende Element des Grand Ried ist das Wasser, das im Rhythmus der Jahreszeiten poetische Landschaften formt. Zahlreiche Wege laden ein, dieses Naturparadies zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Flachkahn oder Kanu zu erkunden.