Der heilige Berg des Elztales
Reist man von Waldkirch durch das Elztal in den Schwarzwald, erreicht man auf halber Strecke den Ort Winden, auf dem Berggipfel darüber erblickt man die kleine Hörnleberg-Kapelle. Eine zweistündige Wanderung führt hinauf, unterwegs erinnern Flurnamen wie Erztalbach und Silberwald an uralten Bergbau. Eine wunderbare Fernsicht öffnet sich auf dem Gipfel in 905 Metern Höhe. Seit vielen hundert Jahren steht hier oben eine Kapelle. In den vergangenen 600 Jahren ist die Kapelle drei oder viermal abgebrannt und wieder aufgebaut worden, das Gnadenbild wurde gerettet, dann verbrannt, dann erneuert, dann gestohlen – heute steht eine Kopie über dem Altar. Doch die Wallfahrt zu „Unserer Lieben Frau auf dem Hörnleberg“ ist bis auf den heutigen Tag lebendig bei sehr vielen Menschen des Elztales. Was macht die Faszination dieses Ortes aus? Was lässt so viele Menschen festhalten an diesem heiligen Berg?
Eine Legende erzählt von einem blinden Mann, der im Elsaß lebte und versprochen hatte, auf dem Berg, den sein Auge zuerst erblicken würde, eine Kapelle zu erbauen wenn er das Augenlicht wieder bekäme. Er wurde erhört und sah „im Glanze der aufgehenden Sonne“ den fernen Hörnleberg. Alsbald wollte er sein Versprechen einlösen. Man überredete ihn, nicht auf dem Berggipfel , sondern weiter unten an den Berg zu bauen. Doch das Bauholz lag zweimal des Morgens auf dem Gipfel. Das zweite Mal samt dem Zimmermann, der das Holz bewachen sollte. Nun erkannte man den Willen Gottes und errichtete das Heiligtum auf der Bergkuppe. Eine andere Version erzählt, der Elsäßer sei nicht blind gewesen, aber unerträgliche Schmerzen hätten ihn nachts geplagt, so daß er jeweils sehnlich die Sonne und den Tag erwartet hätte. Eines Morgens sah er in der Sonne, die hinter dem fernen Hörnleberg aufging, mehrmals die Gottesmutter mit dem Kind. Er gelobte, eine Kapelle auf diesem Berg zu errichten, wenn seine Schmerzen wegblieben. Er wurde gesund und hielt sein Versprechen.
Urkundlich erwähnt wird eine „capellam uf dem Hörnlin“ erstmals 1469 im Pfründebesetzungsbuch der Diözese Konstanz. Offenbar hatte die Kapelle damals einen eigenen Kaplan. In einem kirchlichen Sammlungsregister erscheint 1493 die „Capella zum Hörnlin filialis“ als zur Pfarrei Oberwinden gehörig. Schon 1513 besteht eine „Bruderschaft zu Ehren der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau Maria“, vermutlich war sie gegründet worden, um eine Wallfahrt einzurichten und zu fördern. Im März 1625 wird die Bruderschaft vom Konstanzer Bischof bestätigt, im gleichen Jahr gewährt Papst Urban VIII. reichlich Ablässe. Die Wallfahrt blühte, auch aus dem Elsass kamen Pilger, an manchen Tagen nahmen mehrere 1.000 Menschen den beschwerlichen Weg auf sich. Auf dem Gipfel lebte ein Eremit, der auch die Mesnerdienste versah, in der Pilgerherberge sorgte der Hörnliwirt für das leibliche Wohl der Pilger. Kapuzinermönche aus Haslach im Kinzigtal liefen in vielen Stunden über Biereck und Elzach auf den Berg hinauf, um bei der Seelsorge zu helfen. In den Hörnleberg-Akten im Pfarramt Bleibach sind zahlreiche Gebetserhörungen und Wunder aus jener Zeit aufgeschrieben.
Heinrich Hansjakob beschreibt in seiner Erzählung „Meine Madonna“ die Wallfahrt der Haslacher. … Diese Wallfahrt zu dem hochgelegenen, fünf Stunden von Hasle entfernten Marienkirchlein im Elztal war ein uraltes Herkommen, und der Tag ihrer Begehung wurde zur Sommerszeit jeweils in einer Ratssitzung bestimmt; denn der Schultheiß und der Rat zogen selbst an der Spitze der Waller den weiten Weg dahin. Im Hinweg wurde stramm gebetet und auf dem Rückweg ebenso stramm getrunken. ….. und etwas weiter: … Die alljährliche Spezial-Wallfahrt der Haslacher auf den Hörnleberg erforderte einen Marsch von zehn guten Stunden für hin und her; es gingen aber nur die eigentlichen Burger mit. Die Hintersaßen, Satz- und Schutzburger und die Weiber und Kinder waren ausgeschlossen, nicht weil es zu weit gewesen wäre, sondern weil der Heimweg viel Geld kostete. Auf dem »Ladhof«, vor dem österreichischen Städtle Elze gelegen, wurde im Hin- und Herweg eingekehrt und namentlich auf dem letzteren standhaft gezecht und »geladen«……
Was Brände und viele Kriege nicht geschafft hatten – die Massnahmen von Kaiser Joseph II im Geiste der Aufklärung brachten vorübergehend das Ende der Wallfahrt. Ein Ziel seiner Reformen war die Staatsaufsicht über die Kirche, so verfügte er 1783 die Aufhebung von über 500 Klöstern allein im deutschsprachigen Raum, alle Wallfahrtskirchen, die nicht Pfarrkirchen waren, seien abzureißen. Über Jahre wurden nun immer neue Einschränkungen und Schikanen verfügt durch das Bistum Konstanz und die Großherzoglichen Staatsministerien. Alle Menschen vor Ort wehrten sich, die Pfarrer, die Gewerbetreibenden, die Gläubigen im Elztal. Doch als im September 1826 ein Blitzschlag wieder nur noch rauchende Ruinen auf dem Hörnleberg hinterließ, verbot das Ministerium in Karlsruhe den Wiederaufbau der Kapelle. 1827 versteigerte das Amt Waldkirch „Wirtshaus, Scheune, Stallungen, …, ein Brunnenhaus und 16 Zentner altes Eisen. Alles zusammen für 243 Gulden und 53 Kreuzer“ wie in der Ortsgeschichte geschrieben ist. Inzwischen verschoben sich aber die Machtverhältnisse: In Folge der napoleonischen Kriege gab es neue Ländergrenzen, neue Diözesen wurden diesen Grenzen angepasst. Das Bistum Konstanz mit dem staatskirchlich gesinnten Verwalter Wessenberg, ein strikter Gegner von Wallfahrten, wurde 1827 aufgelöst. Im neuen Erzbistum Freiburg war man liberaler gesinnt, 1851 fand mit bischöflicher Genehmigung die erste öffentliche Prozession mit Gottesdienst auf dem Berg statt, 1856 wurde eine neue Kapelle geweiht.
Das größte Rätsel vom Hörnleberg sind die immer wieder auftauchenden Berichte von einem heidnischen Sonnentempel „aus grauer Vorzeit“. Nach „uralter Tradition sei hier ein Götzentempel gestanden, den vor tausend und sechzig Jahren (im Jahre 727 also) der Bischof zu einer Muttergotteswallfahrt geweiht habe“. Alle die verschiedenen Berichte gehen zurück auf eine einzige Aktennotiz von 1787 aus der Registratur des erzbischöflichen Archivs in Freiburg. Doch im 8. Jahrhundert kannte man nur die drei großen Pilgerreisen zu den heiligen Orten in Jerusalem, Rom und Santiago. Diese Fernziele wurden erst Ende des Mittelalters durch neue Kultorte ersetzt, in unserer Region entstanden Einsiedeln und Odilienberg. Auch eine Marienverehrung im breiten Volk entstand erst viel später, eine Blüte erlebte sie in der Gegenreformation. Was ist also vom „Sonnentempel aus grauer Vorzeit“ zu halten? Wurde dieser Gründungsmythos nur erfunden, um die Bedeutung des Hörnlebergs zu steigern? Denn die Aktennotiz stammt aus der Zeit der josephinischen Reformen, als die Wallfahrt auf den Hörnleberg in höchste Bedrängnis geraten war – so jedenfalls schreibt Gerhard A. Auer in der Ortsgeschichte von Winden.
Aber auch ohne Wurzeln in der Zeit der Hinkelsteine oder der Kelten hat der Hörnleberg eine große Faszination. Zahlreiche Wanderwege erschließen nicht nur diesen Gipfel sondern die ganze Region von Elztal und Simonswäldertal. Im Elztal fällt zunächst eine merkwürdige Asymmetrie auf. Die nordwestlichen Abhänge sind zwar sehr steil, die Höhen aber gering. Die südöstlichen Abhänge sind zunächst viel weniger steil, daher landwirtschaftlich genutzt, reichen aber auf große Höhen hinauf, oft über1.000 Meter. Die Elz folgt einer geologischen Verwerfung aus den Urzeiten der Hebung des Schwarzwaldes. Während im Frühling auf dem Kandel noch der letzte Schnee dahin schmilzt, kann man in den Tälern schon in der frühlingswarmen Sonne wandern gehen. Und der ZweiTälerSteig ist ein Klassiker unter den Fernwanderwegen im Schwarzwald: 106 Kilometer, 5 anstrengende Etappen, über 4.120 Höhenmeter – Der ZweiTälerSteig führt in die schönsten und ursprünglichsten Winkel von Elztal und Simonswäldertal.