Volksheilige Luitgard vom Schwarzwald
Die Trennung zwischen nördlichem und südlichem Schwarzwald macht man meist beim Tal der Kinzig, der Name soll keltischen Ursprungs sein. Mit ihren Nebenflüsssen hat die Kinzig das größte Talsystem im Schwarzwald geschaffen. Der günstige Ost-West-Verlauf im mittleren und unteren Tal machen das Kinzigtal wichtig für die Verkehrsführung. So unterhielten bereits die Römer eine Straße von Offenburg durch das Kinzigtal nach Rottweil (Arae Flaviae) und weiter nach Tuttlingen. Eisenbahn und Bundesstrasse leiten heute die Verkehrslawine durchs Tal.
Im oberen Verlauf wird das Tal der Kinzig enger, riesige Waldflächen überziehen die Bergrücken. Steile Abhänge neigen sich in zahlreiche Seitentäler, je weiter man hier eindringt, um so einsamer wird es. Vom Tal der kleinen Kinzig zweigt das Witticher Tal ab, dort wo sich das enge Tal weitet, erblickt man das uralte Kloster Wittichen mit dem Grab der Luitgard. Quer zum Tal steht der mächtige Bau der Äbtissin, neben der Kirche das einzige Gebäude, das von der großen Anlage nach der Säkularisation übrig blieb. Bis auf den heutigen Tag ist das Grab der Luitgard ein viel besuchtes Wallfahrsziel.
Etwa um 1290 wurde Luitgard nicht weit von hier auf einem Bauernhof geboren. Schon als Kind habe sie sich durch große Frömmigkeit und Hilfsbereitschaft ausgezeichnet. Im Alter von zwölf Jahren kam sie als Begine nach Oberwolfach. Dort kam sie in Kontakt mit den Gottesfreunden – einer Bewegung im Umfeld der Mystik des 14. Jahrhunderts – und lebte dort auch 20 Jahre lang als Reklusin. In einer mystischen Begegnung mit Jesus Christus bekam sie 1324 den Auftrag, ein Kloster zu gründen, das 34 Jungfrauen aufnehmen sollte entsprechend der Lebensjahre Jesu. Mit 34 Gefährtinnen gründete sie an dem ihr in der Vision geoffenbarten einsamen Ort nahe ihres Geburtsortes eine Klause. Luitgard wurden immer wieder mystische Gnadenerweise zuteil und sie hatte die Gaben, Kranke zu heilen und in die Zukunft zu blicken. Sie starb am 16.Oktober 1347 der Überlieferung zufolge an der Pest, nachdem sie selbstlos Pestopfer gepflegt hatte. 1376 wurde diese Klause durch Vermittlung der Königin Agnes von Ungarn von Papst Johannes XXII. als Kloster anerkannt und erhielt die sehr strengen Ordensregeln der hl. Klara. An Luitgards Grabstätte ereigneten sich viele Krankenheilungen, sie wurde Ziel vieler Wallfahrer. Das größte Wunder aber geschah im Grab selbst: Als man im Jahre 1629 den Sarg öffnete, fand man das Gehirn der Toten völlig unversehrt vor. Luitgard wird besonders bei Problemen während der Schwangerschaft, bei Fehlgeburten oder ausbleibendem Kinderwunsch um Beistand angerufen, sie gilt daher als Heilige des Mutterschoßes. Offiziell wurde Luitgard nie kanonisiert.
Das Kloster in Wittichen kam um 1500 in Besitz der Grafen von Fürstenberg aus Donaueschingen. Bei einem Brand 1663 wurde es zerstört, dann bis 1682 wieder aufgebaut, 1802 aufgehoben; 1858 wurde ein Großteil der Gebäude abgebrochen. 1979 kamen die Kirche und das übriggebliebene Klostergebäude wieder in den Besitz der katholischen Kirchengemeinde. In Wittichen wird Luitgards Gedenktag bis heute am 2. Sonntag im Oktober als Wallfahrtstag mit einer Prozession begangen.
Große und kleine Rundwanderwege führen auf den Spuren von Heinrich Hansjakob an die Schauplätze seiner Bücher in der herrlichen Landschaft des Kinzigtals. Heinrich Hansjakob war einer der meist gelesenen Schriftsteller Badens, er war Pfarrer, Politiker und Historiker. In zahlreichen Werken wie „Wilde Kirschen“, „Waldleute“ oder „Erzbauern“ beschreibt er den Lebensalltag der einfachen Leute im Kinzigtal in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Eine Etappe des Hansjakobweges beginnt in Schenkenzell, von hier gehts entlang der Kleinen Kinzig ins Tal von Reinerzau. Hier laufen damals wie heute die Pilger zur Grabstätte der Luitgard, hier laufen Jakobspilger, hier liefen Bergleute und Flösser. Kurz hinter dem Ortsausgang mündet der Eselgrundbach – ein „Esel“ ist die Einündung eines „Grundbachs“ in eine öffentliche Floßstraße. Hier mussten Flöße angehalten werden an einem „Anmährhaken“. Über die „Eselsbrücke“ gelangt man zur ehemaligen „Farbmühle“. Das Kobalterz aus den Bergwerken von Wittichen wurde hier zu blauer Farbe verarbeitet. In Fässer abgefüllt gelangte der Farbstoff als „Oblast“ auf den Flössen nach Holland. Damit wurde Glas und Keramik eingefärbt, für Kirchenfenster, Ofenkacheln und Delfter Porzellan griff man zu diesem Kobaltblau. Der Eingang zum Wittichen-Tal wird überragt von spärlichen Ruinen der Burg Wittichenstein aus dem 14. Jahrhundert. Sie diente zur Organisation und zum Schutz der hier vorhandenen Silberbergwerke. Unterhalb des Burgfelsen an der Talstraße zum Kloster Wittichen öffnete sich rechts des Talbaches der Stollenmund der Grube „Georg am Burgfelsen“. Ein Bildstock erinnert an Bartholomäus Mantel, der hier arbeitete, er verunglückte tödlich bei Sprengarbeiten im Stollen. Die Siedlung der Bergarbeiter liegt weiter talaufwärts, im kleinen Dorf Wittichen lebten einst die Knappen. Am Fuße des Silberbergs fuhren sie in die zahlreichen Stollen ein. Als dann eine Grube nach der anderen „ins Freie fiel“ suchten manche Männer sich Arbeit im Wald. Den Spuren der Flösserei begegnet man wieder, auch hier oben gab es eine „Schwallung“, ein künstlich angelegter Floßweiher. Das Wasser des Talbaches wurde gestaut, damit beim Abgang eines Floßes genügend Wasser vorhanden war.
In früheren Zeiten hatte die Kinzig und ihre Nebenflüsse große Bedeutung für die Flößerei, die früheste Erwähnung stammt aus dem Jahre 1339. Die Flößerstädte Wolfach und Schiltach unterhielten eigene Floßgesellschaften, die die Flößerei bis zum Rhein und weiter bis nach Holland organisierten, die sogenannten Schifferschaften. Sie erhielten von den jeweiligen Landesherren das alleinige Recht zum Holzexport – ein lukratives Geschäft, das den Städten zu Wohlstand verhalf. Sebastian Münster schreibt in seiner Cosmographia universalis: „Das volck so bey der Kyntzig wohnet, besonders umb Wolfach ernehret sich mit großen Bawhöltzern, die sie durch das Wasser Kyntzig gen Straßburg in den Rhein flötzen und groß Gelt jährlich erobern“. Ihre Blütezeit erlebte die Flößerei auf der Kinzig im 15. und 16. Jahrhundert und dann nochmals im 18. Jahrhundert, als der Holzbedarf rapide anstieg, weil die Niederlande und England begannen, ihre mächtigen Kriegs- und Handelsflotten aufzubauen.