Kettenwunder
Auf dem Weg von Gengenbach in den Schwarzwald mündet nach wenigen Kilometern der Harmersbach in die Kinzig. Einst war dieses Tal das einzige „Freie Reichstal“. Der Hauptort erhielt schon 1330 von Kaiser Ludwig von Bayern das Stadtrecht, Zell war die kleinste „Freie Reichsstadt“ im Heiligen Römischen Reich. Am östlichen Ortsausgang liegt ein Wallfahrtsort, von vielen Legenden und Wundern wird berichtet. „Maria zu den Ketten“ ist die größte Marienwallfahrtskirche in Baden und ihr Name ist einmalig.
Zwei große Kettenwunder ranken sich um diesen Wallfahrtsort, von denen auch im Deckengemälde der Kirche berichtet wird. Das erste Wunder geschah während der Kreuzzüge im 12.Jahrhundert. Ein junger Schmiedegeselle aus Schuttern geriet in türkische Gefangenschaft. Um als Sklave verkauft zu werden, brachte man ihn in Ketten gefesselt nach Jerusalem. Der junge Mann war ein frommer Besucher der Marienkapelle „Maria zur Rose“ und er betete zur Gottesmutter. Er versprach, seine Ketten dem Gnadenbild darzubringen, sollte er in Freiheit seine Heimat wiedersehen dürfen. Da fielen die Ketten von seinen Händen und Füßen, ein weißes Pferd stand bereit und brachte ihn in die Heimat. Gemeinsam mit seinen Landsleuten zog der glückliche Geselle von Schuttern nach Zell zur Marienkapelle und löste sein Versprechen ein. Von da an trägt die Wallfahrtskirche den Namen „Maria zu den Ketten“. Die rätselhaften Ketten selbst sind bis heute im Chorraum der Kirche zu bewundern.
Das zweite Wunder ereignete sich während des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648), als die Schweden Zell besetzten. Ein schwedischer Oberst wollte dem „Wallfahrtsspuk ein Ende bereiten“ und gab einem Zeller Schmied den Befehl, die Ketten in Hufeisen umzuschmieden. Trotz mehrerer Versuche misslang dieses Vorhaben. Die Ketten entschwanden während des Schmiedens und wurden unversehrt in der Kirche wiederentdeckt, das bestätigten laut Ratsprotokoll auch zahlreiche Zeugen. So zerstörten im Jahr 1643 die Schweden sowohl die Stadtkirche als auch die Gengenbacher Kirche, doch die Wallfahrtskirche „Maria zu den Ketten“ ließen sie unversehrt.
Der Ursprung des Ortes liegt im Dunkeln, eine Legende erzählt vom heiligen Gallus. Der iro-schottische Glaubensbote (um 550 bis 640) soll auf seiner Wanderung von Frankreich an den Bodensee hier für einige Zeit in einer Einsiedler-Zelle gelebt haben. Er baute sich neben einer Quelle eine Hütte und pflanzte einen Rosenstock. Nachdem er weggezogen war, hörten die Menschen aus dem Rosenstrauch Gesang und entdeckten ein Marienbild. An dieser Stelle errichteten sie eine Holzkapelle und nannten sie „Maria rosenrot“. Damit wurde der Grundstein für den späteren Wallfahrtsort gelegt. Historisch belegt ist der Aufenthalt des Gallus nicht, doch die Beziehungen von Gengenbach zum Kloster Sankt Gallen kommen darin zum Ausdruck. Vermutlich hat ein einfacher Mönch aus der Abtei Gengenbach als Einsiedler in einer Zelle am Harmersbach gelebt, möglicherweise als Verwalter der hier liegenden Klostergüter. Im 11.Jahrhundert hat nach einer alten Chronik der Bischof Werner von Straßburg eine zweite Kirche mit gemauertem Turm gebaut. Der älteste Teil der heutigen Kirche stammt aus dem Jahre 1480. Das Marienbild im Rosenstrauch zog immer viele Pilger an, von nah und fern kamen große Volksmengen. Die Kirche musste mehrmals vergrößert werden. Bis heute wallfahren an den Marienfeiertagen einige 1.000 Menschen nach Zell. Die besonderen Hoffnungen der Wallfahrer liegen bereits im Namen verborgen, Maria zu den Ketten steht für Befreiung von einer Last, von Abhängigkeiten, die Pilger möchten von ihren Sorgen und Nöten befreit werden. „Maria, du Kettenlöserin“, heißt es deshalb in den Gebeten und Liedern zu diesem Wallfahrtsort. Seit 1920 leben Kapuziner-Mönche in einem Kloster neben der Wallfahrtskirche und betreuen Wallfahrer und auch die umgebenden Seelsorgeeinheiten. Auch Jakobspilger auf dem Kinzigtäler Jakobusweg werden hier empfangen.
Zell am Harmersbach ist heute weit über den Schwarzwald hinaus als Keramikstadt bekannt: Der Stadtrat hatte 1794 Josef Anton Burger erlaubt, eine Fayence-Fabrik zu eröffnen. Der Obermaler Karl Schöner entwarf 1898 anlässlich der Geburt seiner Tochter das „Hahn und Henne“-Motiv, mit dem die Zeller Keramik weit über Deutschland hinaus bekannt wurde. Prägend für das heutige schöne Stadtbild waren die Stadtbrände von 1899 und 1904: Danach wurden zahlreiche Häuser im Stil des Historismus und im Jugendstil erbaut. Ihre Ornamentik und die verspielten Fassaden geben im Zusammenspiel mit den mittelalterlichen Fachwerkhäusern der Hauptstraße ihren einmaligen Charakter.