Frau am Kreuz
Wo die hohen Schwarzwaldberge sich nach Osten abflachen, wo die dichten Wälder sich öffnen und Platz machen für Wiesen und Felder der Baar, da liegt das uralte Städtchen Löffingen. Am Rand des kleinen alten Stadtkerns steht die große Michaelskirche. Sie beherbergt einen rätselhaften großen Schatz, ein ganz besonderes Kruzifix – eine Frau am Kreuz! Das auf älteren Fotos noch sichtbare Schild „St.Kümernis“ ging verloren.
Das Kreuz in Löffingen stammt aus einer Kapelle, die vielleicht am Ort der alten Martinskirche stand. 1823 verfügte das badische Innenministerium den Abbruch dieser Kapelle, Thaddäus Meßmer erwarb 50 Zentner Abbruchmaterial und das Grundstück. Er baute mit den Steinen die heutige Linde mit Ökonomiegebäude und Stall. Sie wird inzwischen in der 6. Generation von der Familie Meßmer geführt. Das Inventar wurde versteigert, im Pfarrarchiv liegt der Bericht über die weitere Geschichte: „Das eine Kümmernisbild ging nach Reiselfingen. Danach hatte die Familie Meßmer im Gasthof zur Linde Unglück im Stall. Sie kaufte das Bild zurück und stellte es auf den Speicher. In heiligen Nächten waren Geräusche wie von vielen trampelnden Menschen auf dem Speicher zu hören. Darauf ließ die Familie Meßmer das Bild in eine Nische in der südlichen Friedhofsmauer aufstellen. Nach meiner Erinnerung besuchten viele Witterschneewallfahrer, besonders Mütter heranwachsender Töchter und auch Jungfrauen das von der Familie Meßmer immer mit Blumen geschmückte Bild. Bericht von Leo Ratzer vom 15.4.1933.“ Die Figur war viele Jahre dort der Witterung ausgesetzt. Der Löffinger Arzt Dr. Gebhard Hecht erkannte den besonderen Wert, er veranlasste die Bergung und Restaurierung durch Fachleute. Nach der Restaurierung hing dieses Kreuz an der rechten Seitenwand des Langhauses der Kirche St. Michael – damals noch mit Namensschild. Wann sie dort entfernt und in der südlichen Seitenkapelle des Langhauses, dem Beichtzimmer, untergebracht wurde ist nicht bekannt.
Die Legende erzählt von der Tochter eines heidnischen Königs der Portugiesen. Ihr Vater wollte sie mit einem heidnischen Prinzen vermählen, doch sie hatte sich zum Christentum bekehrt und Jungfräulichkeit gelobt. Sie bat Gott sie körperlich so zu entstellen, dass die Männer von ihr ablassen – ihr wuchs daraufhin ein kräftiger Bart. Der König war über seine nunmehr bärtige Tochter so zornig, dass er sie kreuzigen ließ, damit sie Christus nur umso mehr gleiche. Drei Tage lang, so heißt es, habe Kümmernis noch vom Kreuz herab gepredigt und dabei viele Menschen für den christlichen Glauben gewonnen, darunter am Ende auch ihren ungnädigen Vater. Der ließ sie nun aus Buße in kostbarste Kleider hüllen und ihr eine Kapelle errichten. Mit der Legende von der heiligen Kümmernis verbunden ist die Legende vom armen Spielmann, dem sie ihren goldenen Schuh zuwarf, als er vor ihrem Bild spielte. Daraufhin wurde er wegen Diebstahls zum Tode verurteilt, durfte vor der Hinrichtung aber noch einmal vor der Heiligenfigur spielen. Zum Beweis seiner Unschuld löste sich nun auch der zweite silberne Schuh von ihrem Fuß und rollte bis zu den Füßen des Geigers.
Eine Kümmernis ist historisch nicht nachweisbar, eine Heilige ist von der Kirche offiziell nie anerkannt worden, als heilige Wilgefortis (virgo fortis) wurde ihr Fest am 20. Juli in den Kalender aufgenommen. Ob Sankt Caritas, Comera, Cumerana, Eutropia, Hilfe, Hulpe, Hülpe, Liberata, Liberatrix, Ontcomera, Ontkommene, Ontkommer, Gwer, Sainte Affligée – gemeint war immer die heilige „Kümmernis”, eine „mythologische Volksheilige fraulicher Sorge und Abwehr”. Verehrt wurde sie von vielen Frauen, zeitenweise soll ihr Kult wichtiger gewesen sein als die Anbetung von Maria. Völlig rätselhaft sind einige seltene Darstellungen als eine von den Drei Jungfrauen. Hier sind wohl uralte Verbindungen zu vorchristlichen weiblichen Gottheiten vorhanden. Erste Darstellungen der Kümmernis aus dem 14. Jahrhundert sind bekannt, die Verehrung verbreitete sich im Barock, wurde im 18. Jahrhundert eingeschränkt und erlosch in Nordwesteuropa im 20. Jahrhundert. Spuren ihrer Verehrung findet man heute vor allem noch in Bayern und Tirol, in unserer Region mit zwei eindrücklichen Bildern nur in Hüfingen und in Löffingen.
Der Raum Löffingen ist schon seit Urzeiten besiedelt, aus der Jungsteinzeit (1700 bis 1300 v.C.) hat man über 2000 einzelne Grabhügel gezählt, Kelten (600 bis 300 v.C.) haben diese zu Nachbestattungen benutzt. Alemannen hinterließen Spuren, unter fränkischen Missionaren entstand im 7. Jahrhundert eine erste Kirche St. Martin. Mit der planmäßigen Gründung einer Neustadt im 13. Jahrhundert durch die Herrschaft Fürstenberg verschwand die alte Siedlung. Diese Neustadt war von einer Ringmauer mit vier Stadttoren umgeben. Deren Verlauf ist heute gut sichtbar, weil die Stadt nach dem großen Brand von 1921 vorbildlich wieder aufgebaut worden war. Außerhalb der Stadtmauer liegt die Löffinger Stadtkirche, sie gehört zu den ältesten und schönsten Kirchen der Baar und des Hochschwarzwaldes. In einem Ablassbrief aus dem Jahre 1342 wird die Kirche zum Hl. Michael erstmals erwähnt. Pfarrer Markus Bosch ließ 1713-1715 eine neue und größere Kirche im barocken Stil erbauen. Die Altäre wurden vom St. Märgener Rokoko-Bildhauer Mathias Faller geschaffen, Simon Göser, ein Freiburger Maler, schuf die Altarbilder. Zur Zeit der Hochblüte der barocken Reliquienverehrung „hat sich Pfarrer Markus Bosch um einen heiligen Leib eines Märtyrers bemüht“ – so wurden 1725 die Reliquien des hl. Demetrius aus Rom nach Löffingen gebracht. Wie üblich wurden die Gebeine mit Silber, Gold, Samt, Seide und Edelsteinen verziert und auf einem Altar der Pfarrkirche zur öffentlichen Verehrung ausgestellt. Dieser Demetrius war wohl ein Katakombenheiliger, Wallfahrer kamen zu ihm und berichteten von Wundern, er wurde zum Stadtpatron gewählt.
Seine verkehrsgünstige Lage macht Löffingen zum perfekten Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region, das historische Marktstädtchen liegt mitten in einem Wanderparadies. Die Wutach und ihre Nebenflüsse bilden eine überwältigende Urlandschaft mit romantischen Schluchten und urwüchsigen Wäldern. Erwandern Sie das Wildflusstal der Wutach mit ihren Nebenschluchten und entdecken Sie faszinierende Ausblicke mit plätschernden Wasserfällen und hochaufragenden Felsen in unberührter Natur. Ein unvergessliches Erlebnis für jeden Wanderer, ein einzigartiges Naturschutzgebiet, ein streng gehütetes Wildflusstal.