Der Teufelsgeiger vom Lac de la Maix
Das kleine Kirchdorf Vexaincourt im Tal des Flüsschens Plaine gehörte bis zur Französischen Revolution zum Vogesen-Fürstentum Salm-Salm. Diese Region im Süden des Donon beeindruckt durch die Naturnähe der Wälder und eine geringe Besiedlung. Zauberhafte Wege führen durch die »wilden Wälder« auf 680 m Höhe zum Lac de la Maix, einem der schönsten Karseen der Vogesen. Je nach Lichteinfall leuchtet der See wundervoll smaragdgrün, die Bäume spiegeln sich auf seiner glatten Oberfläche. Am Ufer überrascht die kleine Kapelle „in dieser schrecklichen Einsamkeit“ wie Dom Calmet schreibt. Zahlreiche Legenden erzählen von diesem besonderen Ort, die eindrücklichste berichtet:
Einst gab es in La Maix, wo heute der See steht, eine große Lichtung mit weichem Gras, in deren Mitte ein prächtiger Baum stand. Seine uralten Wurzeln umfassten die Tiefen der Erde und seine majestätischen Äste reichten hinauf, um den unendlichen Himmel zu umarmen. Am Rande des Waldes, etwas höher gelegen, befand sich eine kleine Kapelle mit einer schönen Marienstatue. Jedes Jahr, am Fest Gottes, wurde mit einer Wallfahrt an die Gründung dieser Einsiedelei erinnert. Doch eines Tages auf einer Pilgerreise begann ein Fremder auf der Wiese Geige zu spielen, eine Melodie von faszinierender Schönheit. Bald drehten sich alle Pilger, entzückt von der Musik, tanzten und wirbelten zum Klang des Instruments. Der Einsiedler rief bereits die Stunde für die Messe an, aber die Runde ging weiter. Die Glocken der Kapelle sagten: „Komm, hör nicht auf diesen Mann“. Und die Geige antwortete: „Das Leben ist so kurz, genieße es“. Dann begann der Einsiedler allein seinen Gottesdienst. Plötzlich öffnete sich der Boden, sprang auf und verschlang alle gotteslästerlichen Pilger, unterirdische Wasser sprudelten hervor, bedeckten die klaffende Wunde des Abgrunds und bildeten den heutigen See. Der Musiker war weg. Er hatte seine Geige an einem Felsen zerschmettert, ihre Bruchstücke entzündeten sich in einem Funkenwirbel mit Schwefelgeruch. Dann erhob sich ein spöttisches und triumphierendes Gelächter, und der Einsiedler, der in der Kapelle für die Errettung der verfluchten Tänzer betete, erkannte das Lachen des seltsamen Geigers als das Lachen des Teufels. Wenn man heute am Ufer des Sees spazieren geht, kann man manchmal ein ganz leises Klimpern hören, das vom Grund des Wassers kommt. Es ist die kleine Glocke der alten Kapelle, die für die versunkenen Seelen betet.
Am See wird schon ein Kultort in keltischer und römischer Zeit vermutet, in der Nähe zum großen Heiligtum auf dem Donon nicht unwahrscheinlich. „Gegen 1040 wurde zu Ehren der Dreifaltigkeit die Kapelle des Meeres geweiht…“ schreibt Dom Calmet aus der Abtei von Senones. Erst im 16. Jahrhundert tauchen weitere Berichte auf, so wurden im Jahr 1508 vierzig Tage Ablass gewährt „für alle, die gut und ordnungsgemäß beichten und zum Bau der Kapelle von Notre-Dame-de-la-Mer beitragen“. Viele Eremiten lebten im Lauf der Jahrzehnte hier, zahlreichen Opfergaben spendeten die Pilger. Dom Ambroise Pelletier erzählt uns 1755 von den Feierlichkeiten in La Maix: „Am Tag der Heiligen Dreifaltigkeit geht die Gemeinde von Senones in einer Prozession ab drei Uhr morgens dorthin, sie kommt dort gegen sieben Uhr an, dort angekommen singt der Gemeindepfarrer die Messe. Die Pilger kommen von weit her, und viele Händler, und der Andrang ist so groß, dass es manchmal mehr als zweitausend Menschen sind.“ In La Maix brachten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts manche Eltern den kleinen Leichnam ihres totgeborenen Kindes in die Kapelle, legten ihn auf die Stufen des Altars zu Füßen der Statue, und warteten… Wenn es zu erröten schien oder ein Auge öffnete, wurde es hastig getauft, und dann starb es wieder. Das Kind wurde dann in der Krypta selbst oder in der Nähe der Kapelle begraben, wenn der Pfarrer die Gültigkeit dieser Taufe anerkannte. Doch die kirchlichen Autoritäten schätzten diese Praktiken überhaupt nicht. Später reagierten sie heftig gegen „Missbräuche und Unanständigkeiten, die bei der Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau vom Meer begangen werden“. War es noch die verbotene Taufe der Totgeborenen? Oder waren den Autoritäten andere Auswüchse zur Kenntnis gebracht worden? Auf jeden Fall schien es ernst genug für eine extreme Lösung: die Abschaffung der Pilgerfahrt. 1758 wurde alles abgerissen, nach mehr als 650 Jahren religiösem Leben. Wie sich im Lauf der Zeit der Name wandelte von „la-Mer“ zu „la-Maix“ lässt ich nicht eindeutig feststellen, so könnte der Name „Maix“ vom Vorhandensein eines Bauernhauses mit einigen Feldern an diesem Ort herrühren. Erst 1865 wurde dank einer öffentlichen Sammlung eine neue Kapelle errichtet auf den Trümmern der alten, von der nur die Krypta übrig geblieben war. Zugangstreppen und Stützmauern wurden mit den Steinen der alten Einsiedelei gebaut. Die Decke der alten Krypta stürzte nach dem ersten Weltkrieg ein. Die Wallfahrt zur „Vierge de la Maix“ wurde 1866 durch den Abt von Hennezel, Pfarrer von Luvigny und Pfarrer von Vexaincourt, wieder ins Leben gerufen. Sie findet bis heute am Donnerstag des Fête-Dieu / Fronleichnam statt.
Der Zugang zum See geschieht heute von Vexaincourt über Waldstrassen und Wanderwege. Einen ganz anderen Weg nahmen die Pilger in früheren Zeiten: Sie liefen im Tal des Rabodeau von Senones auf der alten Römerstraße bis zum Pass „Haut du Bon Dieu“. Zur Erinnerung steht dort ein alter Bildstock, von hier geht es kurz und steil hinunter zum See. Die Römerstraße verläuft weiter zum Donon, ein Teil der großen Fernverbindung von Langres / Andemantunnum nach Strasbourg / Argentoratum.