Johannifeuer im Amarin-Tal
Reist man im Frühsommer von Thann weiter ins Tal der Thur erblickt man auf exponierten Plätzen an den Hängen merkwürdige Holztürme. Im Laufe der Wochen wachsen sie in die Höhe, kunstvoll werden sie aufgeschichtet in mühsamer Arbeit von den jungen Frauen und Männern aus dem Dorf. Ein großer Turm wird über zehn Meter hoch, daneben stehen ein oder zwei kleine Türme. „Fackeln“ werden sie hier im Elsass genannt, denn am Fest zur Sommersonnenwende sollen sie angezündet werden. In früheren Jahren waren die ‚conscrits‘ für den Bau verantwortlich. Als es weniger Wehrpflichtige gab, war der Brauch manchmal bedroht. Doch immer fanden sich Vereine, Jugendgruppen oder Festkomitees, welche die ehrenamtliche Arbeit gerne übernahmen. Oft werden sie unterstützt vom Bürgermeister, der die Bedeutung dieser Tradition für das Leben seines Dorfes spürt.
Das Fest zur Sommersonnenwende ist meist am Wochenende um den 24. Juni herum. Tische und Bänke werden auf einer Wiese aufgestellt, vielleicht steht dort auch ein Ofen für ‚Flammakucha‘, Würste vom Grill oder Wildschwein am Spieß gibt es, für Getränke ist gesorgt und für Musik sorgt eine Band oder der Discjockey. Gegen Abend strömen dann sehr viele Familien den Berg hinauf, es ist das wichtigste Fest des Dorfes. Wenn es gegen 23 Uhr richtig dunkel geworden ist, wird endlich die Fackel von der Jugend entzündet, die Zeremonie ist genau geregelt. Wenn der riesengroße Feuerturm lichterloh brennt, bildet ein kleines Feuerwerk den krönenden Abschluss.
Eine Feier zur Sommersonnenwende ist in vielen Ländern Europas seit Jahrhunderten Tradition. Der längste Tag des Jahres war bei den Völkern des Nahen Ostens schon vor 11.000 Jahren bekannt. In den landwirtschaftlichen Gesellschaften sollte eine gute Feier eine gute Ernte garantieren. Das Licht der Feuer symbolisiert die lebensspendende Kraft der Sonne. Die christliche Kirche legte das Fest der Geburt Jesu auf die Wintersonnenwende, die Sommersonnenwende wurde belegt mit dem Fest der Geburt von Johannes dem Täufer. Den Evangelien zufolge wurde er sechs Monate vor Christus geboren. Christen haben die beiden Feste miteinander verbunden, indem sie die Evangeliumsstelle „Er [Jesus] muss wachsen und ich [Johannes] muss abnehmen“ (Johannes 3,30) zitieren, die auf den Rückgang der Helligkeit ab dem 21. Juni anspielt. So ist der Johannistag gewissermaßen das sommerliche Gegenstück zu Weihnachten.
Mit Hilfe der weltlichen Mächte versuchte die Kirche, die Sonnwendfeuer zu verbieten. Überliefert ist eine Predigt des heiligen Eulogius / St. Eloi aus der Mitte des 7. Jahrhunderts: Niemand solle an diesen „wirbelnden oder springenden Tänzen oder Caraules [eine Art Reigentanz] oder teuflischen Liedern“ teilnehmen, aber es war schwierig, solche fest verankerten Bräuche zu verbieten. Eine Schrift aus dem Jahr 1544 beschreibt den Aberglauben im Zusammenhang mit den heidnischen Sonnwendfeuern wie folgt: „An den Kreuzungen auf den Feldern wurden sie angezündet, um Hexen und Zauberinnen vom nächtlichen Durchzug abzuhalten; am Johannistag gesammelte Kräuter wurden manchmal verbrannt, um Blitz, Donner, Hagel und Sturm abzuwehren, und man glaubte, dass diese Ausräucherungen Dämonen und Tumulte abhalten würden.“ Bei Freudenfeuern versammelte sich die gesamte Dorfbevölkerung um einen zeremoniellen Scheiterhaufen: Sobald das Feuer erloschen war, traten junge Paare über den Scheiterhaufen, um ihre Fruchtbarkeit zu garantieren. Auch andere Dorfbewohner überquerten ihn, um sich vor Krankheiten zu schützen. Die Höhe des Sprungs war proportional zur Erntemenge, die ein Bauer erwarten konnte. In manchen Gegenden wurde das Vieh durch den dichten Rauch getrieben. Diesen Ausräucherungen wurde eine schützende Wirkung nachgesagt. Wie in der Silvesternacht wurden Feuerwerkskörper geworfen, um mit dem Lärm böse Geister zu vertreiben. Manchmal wurden ungeliebte Tiere bei lebendigem Leibe verbrannt: schwarze Katzen, Schlangen, Kröten, Ratten… eben alle, die mit Hexerei in Verbindung gebracht wurden! Am nächsten Morgen wurde die Asche auf die Felder gestreut in der Hoffnung, sie fruchtbar zu machen.
Diese wunderschönen Feste mit dem „Feu de la Saint-Jean“ werden in allen Dörfern des Amarin-Tales gefeiert: Oderen, Husseren Wesserling, Fellering, Mollau, Wildenstein, Ranspach, Saint Amarin, Moosch, Kruth, Urbes.