Heidenschanze, Heidenwuhr und Heidenmühle
Die Reise geht von Tiengen nach Norden, durchs Tal der Schlücht hinauf in den Schwarzwald. Bei der Witznauer Mühle mündet die Schwarza. Dort ragen fast 200 Meter hohe steile Felswände auf, Jahrhunderte lang unbezwingbar, nur ein schmaler Saumpfad führte hinauf. Erst im 19. Jahrhundert wurde mit viel Sprengstoff die heutige steile Straße angelegt. Darüber liegt ein großes Plateau, das Berauer Horn, im Volksmund heißt es „Heidentor“ oder „Heidenschanze“. Je nach Dichte des Waldes und des Laubs fallen imposante Wallanlagen auf. Die gesamte Anlage ist etwa acht Hektar groß und in drei Abschnitte gegliedert. Der oberste dritte Wall ist der imposanteste, er ist etwa 200 Meter lang und mehr als sechs Meter hoch. Um die Anlage auch gegen Norden zu schützen verliefen vor dem Wall parallel drei tiefe Gräben, diese sind jedoch kürzlich leider zugeschüttet worden. Sicher ist, dass diese Anlage von Menschenhand angelegt wurde – doch von wem? Archäologische Untersuchungen wurden bisher nie gemacht. Ein Bronzeschwert von 1954 ist leider verloren gegangen. Systematische Begehungen erfolgten 2000 und 2009, Lesefunde aus Urnenfelderzeit, Hallstattzeit und Merowingerzeit wurden dabei gemacht.
Der berühmte Heimatforscher, Prähistoriker und Geländegänger Emil Gersbach (1885 – 1963) aus Bad Säckingen schreibt (erst 1969 veröffentlicht) dazu: „Ein Berauer Ortsadel erscheint im 11. und 12. Jahrhundert erstmals in den Quellen, es kann aber eigentlich kaum einem Zweifel unterliegen, dass diese gewaltigen Anlagen von den urkundlich nicht zu fassenden Vorfahren dieser edelfreien Herren angelegt worden sind. Diese vornehmen Geschlechter könnten zumindest seit dem 10. oder 11. Jahrhundert in der bemerkenswert kleinen Hauptburg gewohnt haben; und zwar in Holztürmen, die auf Podien unmittelbar hinter den gewaltigen Schildwällen gestanden haben müssen. Die Funktion der umfangreichen Anlage ist aus dem Grundriss allein nicht zuverlässig genau zu bestimmen. … es kann jedoch so viel gesagt werden, dass es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um den Sitz und gleichzeitig auch um das Refugium der edelfreien Herren von Berau handelt. Ein erster Vertreter – De pago Cletgouve Waltherus de Berouva – dieses Geschlechts erscheint 1087 in den Urkunden, der letzte Spross – Gottfried – schenkt bereits um 1100 den Berauer Berg dem Kloster St.Blasien, in das er selbst eintritt.“
Schon wenige Jahre nach dieser Schenkung wurde ein Frauenkloster unter Abt Rusten von St.Blasien nach Berau verlegt. Ein erster Klosterbau wurde 1110 begonnen und inklusive einem romanischen Münster von Bischof Hermann von Konstanz dem heiligen Nikolaus geweiht. Ein Adelskloster sollte es sein, Frauen aus bedeutenden Adelsgeschlechtern und Patrizierfamilien traten ein, adlige Töchter wurden untergebracht. Alle waren mit reicher Mitgift versehen, was zum Reichtum von Berau und auch St.Blasien beitrug. Über 700 Jahre währte die Geschichte dieses Frauenklosters, von fünf Großbränden wird berichtet, immer wieder gab es Kriege, Plünderungen aber auch Neubeginn. Ein Bild im Schloss Bürgeln zeigt die Anlage im 18. Jahrhundert. Der Geschichtsverein Historisches Berau hat nach jahrelanger Forschungsarbeit ein Modell des Klosters gebaut, in einer wunderbaren Ausstellung das Klosterleben anschaulich gemacht.
In der Säkularisation wird das Kloster 1806 enteignet, die letzte kleine Glaubensgemeinschaft wird von Großherzog Leopold von Baden 1834 endgültig aufgelöst. Das Inventar wird versteigert und gelangt in verschiedene Kirchen der Umgebung. Ein wunderschöner Marienaltar von 1507 steht inzwischen im Badischen Landesmuseum Karlsruhe. Die Gebäude kauft ein Fabrikant aus Tiengen für 4300 Gulden um eine Strohhutfabrik einzurichten. Doch 1846 wütet ein letzter Großbrand in den Gebäuden, danach wird alles abgerissen. Nur das ehemalige Vogtshaus steht noch, es ist heute zu einem Wohnhaus umgestaltet. Über dem Eingang erinnert ein Wappen mit drei Bärenköpfen an das Adelsgeschlecht und die Stifter derer von Berau.
Zum Kloster gehörten auch zwei Getreidemühlen, die obere und untere Mühle. Aber nun folgt das zweite große Rätsel – die gesamte Hochebene zwischen Schwarza und Mettma ist sehr wasserarm, es gibt kein fließendes Wasser zum Betrieb solcher Mühlen! Man nutzte daher einen künstlichen Kanal, der über 8 km mit 0,5% gleichmäßigem Gefälle Wasser von der Mettma herbeiführt, das Berauer Wuhr. Dieses Wuhr hat sicher schon zu Baubeginn des Klosters im 12. Jahrhundert existiert. Die Stilllegung war vermutlich im 17. Jahrhundert, verbunden mit einem drastischen Niedergang des Klosters und seiner beiden Mühlen. Schon im 18. Jhdt. ist das „alte Mühlen wuhr“ nicht mehr in Betrieb.
Im Hotzenwald gibt es heute noch mehrer Wuhre, die gepflegt werden und Wasser führen: Erste urkundliche Erwähnung finden sich 1453 Hochsaler Wuhr (19km), 1457 Heidenwuhr (14km) und 1544 Hänner Wuhr (12km). Sie haben in Eisenwerken in Bad Säckingen und Laufenburg die Wasserräder angetrieben für Blasebälge und Schmiedehämmer, das Eisenerz kam aus dem Fricktal. Erste Erwähnung von Hammerschmieden gibt es 1207, der Bau der Wuhren muss also schon im 12. Jahrhundert erfolgt sein. Eine unglaubliche technische, organisatorische und finanzielle Leistung war der Bau dieser Wuhren – wer war dazu vor fast 1000 Jahren in der Lage? Es gibt keinerlei Berichte über den Bau eines der vielen Wuhre. Die Wuhre liegen in vier verschiedenen Herrschaftsgebieten, und Landwirtschaft und Handwerk waren damals nur sehr kleinteilig organisiert. Eine „starke ordnende Hand“ wie Gerhard Endriß vermutet für solch ein großes Bauvorhaben ist nirgends erkennbar. Die Hypothese mancher Forscher ist daher: Die Wuhre wurden nicht für Klöster und Mühlen gebaut, sondern Klöster und Mühlen wurden dort gebaut, wo das fließende Wasser der Wuhren schon vorhanden war. Es muss ein viel älteres Bewässerungssystem sein, vielleicht aus Eisenzeit oder Bronzezeit, vielleicht von den Erbauern der Heidenschanze. Auch bei den Wallanlagen auf dem Berauer Horn gibt es ja kein Wasser!
Mit Beginn der Christianisierung wurden viele Bauwerke aus früheren Zeiten oft als „heidnisch“ bezeichnet, so wurde das Berauer Wuhr früher auch Heidenwuhr genannt. Eine Legende erzählt von einem heidnischen Müller im Mettmatal, der noch den alten Göttern opferte. Er wurde mit seiner Familie vertrieben, weil er sich nicht zum Christentum bekehren wollte. Da schworen sie Rache und zündeten eines Nachts das ganze Dorf an, das heute „Brenden“ heißt. Die Mühle im Mettmatal heißt seitdem „Heidenmühle“, dort beginnt das Heidenwuhr von Berau. Der Geschichtsverein Historisches Berau hat in intensiver Arbeit das Wuhr aus dem Unterholz befreit. Auf einen Geschichtspfad kann man nun entlangwandern und über dieses geniale Wasserbauwerk nachdenken, das vielleicht 3000 Jahre alt ist.