Diana und Columban auf dem Mont-Saint-Martin
Das ‚Land der 1.000 Seen‘ ist ein noch weitgehend unentdeckter Schatz am äußersten Südwestrand der Vogesen. Seine reiche ursprüngliche Natur ist immer noch ein Geheimtipp. Beim Rückzug des Moselgletschers vor 12.000 Jahren blieben auf eine Hochebene zahlreiche Wasserbecken zurück, in denen sich Teiche, Moore und Sümpfe bildeten. Seit dem Mittelalter betrieben hier Mönche und Bauern Fischzucht, Torf wurde als Brennstoff abgebaut. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden diese Wasserreserven von der lokalen Textil- und Papierindustrie genutzt. Diese Hügellandschaft wird entwässert vom Flüsschen Breuchin, ein liebliches Tal führt in westlicher Richtung nach Luxeuil. An einer Engstelle im Tal liegt seit dem Mittelalter die Siedlung und die Burg der Adligen von Faucogney. Kaum zu glauben, dass sich in diesem kleinen Dorf eine der wichtigsten Herrschaften im Norden der Grafschaft Burgund befand. Sie kontrollierte die Straße von Burgund nach Lothringen, vom Saône Becken im Westen über den Col du Mont de Fourche ins obere Moseltal im Nordosten, ein Verkehrsweg, der auch schon zur Römerzeit benutzt wurde.
Faucogney wird überragt vom Mont Saint-Martin, auf dessen Gipfel steht die uralte kleine Kirche Saint-Martin, ein faszinierender Ort mit vielen Geheimnissen. Eine Legende erzählt, dass der heilige Martin hier auf der Hochebene unterwegs war mit seinem Begleiter. Beim Kreuz ‚Pas Saint-Martin‘ ließ er sich müde nieder und rastete. Da erblickte er ein wunderschönes grünes Tal. Er warf seinen Stock, dieser landete auf einem Felsvorsprung, er beschloss, dort eine Kapelle zu bauen. Sein Schüler baute ebenfalls eine Kapelle auf der anderen Seite des Tales. Da sie aber nur einen Hammer hatten, warfen sie ihn abwechselnd von einer Seite des Tales auf die andere.
Die heutige Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert, zum ersten Mal 1189 erwähnt in einer Schenkungsurkunde. Spuren verschiedener Phasen für Bau oder Umbau findet man, vom romanischen Chor aus dem 12. Jahrhundert bis zum Schiff aus dem 18. Jahrhundert. Seit 2010 arbeiten Archäologen auf dem Gelände von Kirche, Friedhof und Umgebung. Sie fanden Amphorenscherben aus der späten La-Tène-Zeit (135 v. Chr. – 50 n. Chr.) und zahlreiche Bruchstücke gallorömischer Fliesen. In einem Pfostenloch fand man zwei römische Münzen aus den Jahren 275 und 350. Einer der bemerkenswertesten Funde ist die Stele der Göttin Diana, heute im Mueum Besançon. Die genauen Bedingungen und der Ort ihrer Ausgrabung im Jahr 1718 sind leider nicht bekannt. Zur gleichen Zeit sollen auf Mont-Saint-Martin antike Tierstatuetten aus Bronze gefunden worden sein. Ebenfalls 1718 wurde im Kirchenschiff selbst eine Bronzestatuette gefunden von Priapus, einem antiken Fruchtbarkeitsgott. Eine Bronzestatuette der jagenden Diana soll 1747 aus der Kirche ausgegraben worden sein. All diese Funde deuten auf eine antike Besiedlung mit einem Diana-Heiligtum hin.
Bis 1712 war Saint-Martin Pfarrkirche, dann verlor sie diesen Status an die Kirche Saint-Georges in der Dorfmitte von Faucogney. Aber bis auf den heutigen Tag werden die Verstorbenen aus allen umliegenden Orten hier oben beerdigt. Eine ganz besondere Atmosphäre herrscht auf diesem großen Friedhof, manche Gräber sind völlig überwuchert und über 200 Jahre alt. Der Ausblick von hier oben ins grüne Tal des Breuschin ist fantastisch, im Süden schaut man auf Annegray, wenige verstreute Häuser und Höfe, im Zentrum, leicht erhöht, ein Ausgrabungsgelände. Grundmauern einer Kirche, Säulenbasen, Apsis, ein Sarkophag sind erkennbar, daneben einige Steinkistengräber. Die Ausgrabungen begannen 1958, die Archäologen suchten Reste der ersten Klostergründung des Columban. Die Kirche St. Johannes der Täufer gehörte zum karolingischen Kloster. Dieses wurde 1790 in der Revolution geschlossen, verlassen, später geplündert und alle Gebäude abgerissen. Es gab weitere geophysikalische Untersuchungen in der Umgebung, unter der Oberfläche liegen Reste weiterer Klostergebäude, ein Gebäude vielleicht aus dem Mittelalter, vielleicht ein Fanum – ein heiliger Bezirk mit einem gallorömischen Umgangstempel. Nur die Gebäude eines Klosters aus der Zeit des Columban sind bisher nicht gefunden worden.
Jonas von Bobbio hatte im 7. Jahrhundert in der ‚Vita Columbani‘ geschrieben: „Damals gab es eine weite Einöde mit Namen Vogesen, in der eine längst zerstörte Burg lag, von alters her Annegray genannt. Als der heilige Mann hierhin gekommen war, ließ er sich trotz der rauen Einsamkeit, der Wildnis und Felsen daselbst mit den Seinigen nieder, zufrieden mit geringem Unterhalt, eingedenk des Spruches, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe, sondern vom Wort des Lebens gesättigt Speise die Fülle habe und in Ewigkeit nicht mehr hungern werde.“ Was könnte mit der „zerstörten Burg“ gemeint sein? Vieleicht lag das erste Kloster gar nicht im Tal beim gallorömischen Heiligtum? Vielleicht haben die Mönche erst später das Kloster vom Berg ins Tal verlegt – wie in Remiremont? Vielleicht gab es Ruinen von römischen Bauten auf dem Berg, in denen sich Columban mit seinen Gefährten zunächst niederließ? Vielleicht wollte Columban das Diana-Heiligtum christianisieren?
Eine weitere Legende erzählt, dass der heilige Kolumban nach Burgund gekommen sei um die Gallier zu evangelisieren. Er machte so viele Anhänger, dass er einen Teil seiner Gemeinschaft in Luxeuil am Fuße der Vogesen ansiedeln musste. An einem Weihnachtsabend wählte er eine hundertjährige Tanne auf dem Gipfel des Berges aus und bedeckte sie vom Fuß bis zur Spitze mit Fackeln, sodass ein riesiges Kreuz aus Licht entstand. Alle Bauern im Umkreis liefen zum Lichtkreuz und der Heilige Columban erzählte ihnen von der Geburt Christi, des Erlösers, und vervielfachte die Bekehrungen.
Ob das Anspielungen auf ein Bergkloster sind? Erst weitere Forschungen können das große Rätsel um Columban und Diana vielleicht lösen.