Höhepunkt der Romanik am Grab des Leobard
Wir reisen auf der ‚Romanischen Straße‘ durch das ‚Kochersberger Land‘. Seit Jahrhunderten gilt diese Gegend als ‚Land wo Milch und Honig fließt‘, als ‚Speicher des Elsass‘, als Kornkammer der alten Bischofsstadt Straßburg. In einer sanften Hügellandschaft liegen zwischen Feldern immer wieder kleine Dörfer, im Westen wird man begleitet von der bewaldeten Bergkette der Vogesen. Hinter einer Kuppe taucht das Dorf Marmoutier auf, es hat seinen Namen von einer der ältesten und berühmtesten Abteien im Elsass.
Der heilige Leobard hatte hier ein Kloster gegründete, das zuerst „Leobardi villa“, dann „Monasterium Domni Leobardi“ genannt wurde. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts war er mit anderen iroschottischen Wandermönchen ins Elsass gekommen. Dank großzügiger Schenkungen von Childebert II., König von Austrasien, verfügte die Abtei über ein großes, von einem riesigen Wald bedecktes Territorium am Fuße der Vogesen. Die Mönche begannen die noch wilde Gegend zu roden und auf dem gewonnenen Ackerland gründeten sie viele Weiler und Dörfer. Dieses erste Kloster wurde im 8. Jahrhundert durch einen Brand zerstört. Maurus, der 5. Abt, baute es an seinem heutigen Standort wieder auf, Abt Pirmin reformierte die Abtei, indem er 746 die Benediktinerregel einführte. Maurus wurde als zweiter Gründer angesehen und das Kloster dann als Maurum monasterium, Monasterium Mauri, Moresmunister (11. Jh.) bezeichnet. Es wurde den Heiligen Petrus und Paulus geweiht, aber unter den besonderen Schutz des Heiligen Martin gestellt. Der Ort selbst entstand im 13./ 14. Jahrhundert aus einer Siedlung vor dem Kloster, wo sich Handwerker und Bauern niedergelassen hatten. Juden siedelten sich an und betrieben im Schutz und im Auftrag der Abtei Handel.
Von der staufischen Architektur der Klosterkirche sind heute die Westfassade, die Vorhalle und die Türme aus dem 11. und 12. Jahrhundert erhalten. Das hinter dem imposanten Westwerk liegende Langhaus der Kirche wurde zwischen 1225 und 1301 in gotischen Formen neu erbaut. 1761–1769 wurde der Mönchschor im gotischen Stil wieder errichtet und mit einem bemerkenswerten Chorgestühl ausgestattet. Die 1788 geplante Ersetzung des romanischen Westwerks durch einen barocken Neubau verhinderte der Ausbruch der französischen Revolution und die Aufhebung des Klosters. Die Abteikirche wurde 1805 zur Pfarrkirche, die dem heiligen Stephanus geweiht ist. Zur Ausstattung der Kirche gehört eine berühmte Orgel aus der Werkstatt des Straßburger Orgelbauers Andreas Silbermann. Das Instrument wurde in den Jahren 1707–1710 erbaut, im Laufe der Zeit ergänzt und mehrfach repariert, auf der Orgel hat auch Albert Schweitzer gelegentlich gespielt.
Ab 1972 gab es Ausgrabungen unter dem Querschiff und dem Chor, man fand die nördliche Apsis der vorkarolingischen Kirche, einen Kalksteinsarkophag aus der Zeit des Abtes Maurus und unter der Mittelachse der Kirche das Grab des Leobard, des Gründers der Abtei. Reste von Gewölben und Wandmalereien wurden gefunden, einen Altarsockel aus der Zeit vor dem 7. Jahrhundert und Grundmauern, wahrscheinlich von einem kleinen gallo-römischen Tempel, auf dem der heilige Leobard das erste Gotteshaus errichtet haben soll.
Die Front mit ihrem reichen Figurenschmuck, aber auch der Säulen- und Bogenschmuck der Vorhalle zeugen von der großen romanischen Bildhauerkunst. Daher gilt diese romanische Abteikirche als eine der schönsten des Elsass überhaupt. Am eindrucksvollsten gestaltet sich der Besuch am Nachmittag, wenn die schrägen Sonnenstrahlen den Sandstein zum Glühen bringen.