Der Rutschfelsen und die Göttin Liese
Niederbronn-les-Bains ist ein kleiner Kurort im Herzen des Naturparks der Nordvogesen. Im Zentrum des Städtchens gibt es Badeanlagen, Hotels, einen kleinen Kurpark und sogar ein Spielcasino. Im 19. Jahrhundert erlebte die Therme einen Aufschwung, 1828 lässt die Gemeinde eine neue Thermalanlage mit einem hübschen Foyer errichten, die ein Ort der Begegnung der “feinen“ Gesellschaft war, die wegen der Wasser von Niederbronn dort zusammen traf. Die Quellen von Niederbronn-les-Bains haben den Ruf, Magen- und Leberkrankheiten, Gicht, Rheuma und Fettleibigkeit zu lindern. Die Römer hatten im ersten Jahrhundert diese Quellen entdeckt und eine Stadt gegründet mit umfangreiche Kuranlagen. Die römischen Bäder blühten bis zu den Barbareneinfällen im 5. Jahrhundert. 1592 wurden bei der von Graf Philipp V. von Hanau-Lichtenberg angeordneten Reinigung der Quellen mehr als 300 römische Münzen aus der Zeit zwischen 48 und 400 n. Chr. entdeckt. Die Römer warfen Münzen in die Quellen, um den Göttern für ihre Heilung zu danken.
Der Hausberg von Niederbronn-les-Bains ist der Grand Wintersberg, mit seinen 581 Metern der höchste Punkt der Nordvogesen. Vom Aussichtsturm hat man einen prächtigen Blick auf die sanften bewaldeten Hügel von Nordvogesen und Pfälzerwald. An einem klaren, ungestörten Tag sind die Rheinebene und die blaue Linie des Schwarzwaldes im Westen, die lothringische Hochebene im Osten zu sehen. Der Aufstieg erfolgt über Wanderwege oder eine kleine Forststraße bis zum ‚Waldpass von Liese‘. Dort erwartet den staunenden Besucher die merkwürdige und rätselhafte ‚Liese‘, ein seltsames junges Mädchen, das in einem großen Felsen verewigt ist. Die Liese wartet hier seit Anbeginn der Zeit, die Skulptur stammt aus der gallo-römischen oder sogar keltischen Zeit. Sie wurde um 1944 von amerikanischen Truppen zerstört, in den 1970er Jahren recht ungeschickt restauriert und hat leider nicht mehr viel mit dem Originalwerk zu tun, von dem es noch einige wenige Zeichnungen gibt. Ausgrabungen Ende des 19. Jahrhunderts brachten am Fuße der Liese zahlreiche Holzkohlen sowie eine Platte mit einem Becken ans Tageslicht. Dieses Becken nahm wahrscheinlich das Wasser auf, das über die Statue lief. Ein Fruchtbarkeitskult wurde praktiziert, die mündliche Überlieferung spricht von der Liese als einem ‚Rutschfelsen‘. Die jungen Frauen kletterten auf den Felsen und ließen sich zu Boden rutschen. Diejenigen, denen dies gelang, sahen ihren Wunsch, ein Kind zu gebären, in Erfüllung gehen. Seit langem sind keltische und gallo-römische Kulte zu den Wassergöttern in der Region dokumentiert.
Der Forscher Charles Mathis aus Niederbronn-les-Bains sagt über die Liese: „Es ist das Bild einer Göttin, deren Haupt gekrönt ist und die auf den Knien ein Becken trägt. Hier kamen die Jugendlichen, um der Göttin Astarte zu huldigen“. Eine neuere Legende erzählt: Liese war ein schönes Mädchen mit blauen Augen und schönen roten Haaren. Ein junger Adliger war in sie verliebt. Als die schöne Liese einen einfachen Handwerker bevorzugte, konnte er es nicht ertragen. Er ließ den Handwerker ermorden und in einen tiefen Brunnen werfen. Eine andere Legende erzählt: Ein in Ägypten stationierter Legionär von Julius Cäsar heiratete dort ein einheimisches Mädchen. Sie hatten eine Tochter, die sie Isis nannten. Nach dem Tod ihrer Eltern lernte Isis einen jungen Mann kennen, dem sie über die Meere ins Elsass folgte. Doch das Heimweh war stärker als die Liebe, und Isis kehrte nach Ägypten zurück. Der junge Mann, von Traurigkeit überwältigt, ritzte seine schöne Isis auf einen Felsen, damit er sie nie vergessen würde.
Südlich des Großen Wintersbergs, mit Blick auf das Falkensteinerbachtal und Niederbronn-les-Bains, erhebt sich der Ausläufer des Ziegenbergs. Auf diesem Sporn befindet sich das „Keltische Lager“. Man sieht einige Mauerreste, die strategische Lage ist günstig, doch für ein keltisches Oppidum ist die Fläche zu klein. Ob es ein Heiligtum war? Darüber lässt sich wunderbar meditieren auf Wanderungen in den riesigen wunderschönen Wäldern. Gegenüber, auf der anderen Seite des Falkensteinerbachtales, liegen die Ruinen der Burg Wasenburg. Hier war um das Jahr 90 eine Gruppe der VIII. Legion aus Argentoratum / Straßburg stationiert. Sie bauten dort einen Wachturm und einen dem Merkur geweihten Tempel. Die folgende Inschrift ist dort noch zu lesen: „DEO MERCURIO ATTEGIAM . TEGULICIAM COMPOSITAM . SEVERINIUS SATULLINUS C. F. EX . VOTO POSUIT L. L. M.“ übersetzt wie folgt : „Severinius Satullinus, Sohn des Caius, hat in Erfüllung eines frei gegebenen Gelübdes dieses kleine Ziegelgebäude errichtet und dem Gott Merkur als Denkmal geweiht.“