Verzweifelte Menschen konnten nur beten
Einst war das Leben der Menschen geprägt von harter Arbeit und Entbehrungen. Die Leute waren fromm, Glaube und Gebet fest eingebunden in ihren Alltag. Davon zeugen unzählige Hofkapellen im Schwarzwald. Die Höfe waren damals groß und hatten dementsprechend viel Personal, zudem lebten drei bis vier Generationen unter den tief herabgezogenen Walmdächern. Eine eigene Kapelle, das sparte Kraft und Zeit. Es war ein Raum, um am Hof Andachten halten zu können, aus der Bibel zu lesen, gemeinsam zu singen und zu beten. Denn Stunden hin und wieder zurück, bei Eiseskälte und durch hohen Schnee – oft war ein Kirchgang für die Hofbewohner unmöglich.
In Aha fällt heute immer noch der Hinterbauernhof ins Auge. Das stattliche Anwesen gehörte zu den Brüderhöfen des Klosters Sankt Blasien, 1667 erbaut. Neben dem Hof befindet sich eine unscheinbare Kapelle. Das Innere der Kapelle aber ist einzigartig, Wände und Decke sind komplett bemalt im Stile der Schwarzwälder Hinterglas- und Uhrenschildmalerei. Eine solche Gesamtbemalung im Stile naiver Malerei findet sich im Hochschwarzwald kein zweites Mal.
Als sie 1930 wegen des Straßenbaus verlegt werden sollte, war jedenfalls ihr Zustand so jämmerlich, dass sie zuvor abgestützt werden musste, um nicht zusammenzufallen. Unter dem feuchten Standort hatten die bemalten Wand- und Deckenplatten besonders stark gelitten. Das Badische Finanzministerium bewilligte 1930 die Mittel für die Wiederherstellung der Kapelle, die im gleichen Jahr auf trockenem Standort neben dem Hinterbauernhof vorgenommen wurde. 1933 schwärmte Otto Gutting in ‚Mein Heimatland‘: „Ein Hauch der kindlichen Gottesgläubigkeit des Schwarzwaldbauern und seiner Frömmigkeit, die in der damaligen Zeit noch recht lebendig war, weht einem entgegen, wenn man sich dem Zauber des kleinen Gotteshauses hingibt.“ Entstanden waren Kapelle und Ausmalung im 18. Jahrhundert. Dies bezeugt heute noch eine Inschrift: „Zur ewiger Gedechtnus Gotes und Maria hat diese Capbelen machen lasen Johan Imberi und Maria Herin den 22. August 1745.“ Über den Maler ist nichts bekannt. „Es mag sein, dass er ein auf der Wanderschaft begriffener Maler war, der bei dem Hofbauern dankbare Arbeit fand und mit starkem dekorativem Talent begabt, in naivster, dem Bauernempfinden entsprechender urwüchsiger, frischer und farbenfroher Malweise einen Raum geschaffen hat, der ein Kleinod der Gegend genannt werden kann.“
Neben Christus- und Marienbildern und den szenischen Darstellungen der Flucht nach Ägypten und des Fegefeuers dominieren rundum farbenprächtige Bilder von Heiligen. Es handelt sich dabei vor allem um bäuerliche Nothelfer, die in einem anrührenden, volkstümlich naiven Stil gemalt sind und an Hinterglasmalerei erinnern. Viele Schutzpatrone für alle Lebenslagen und Krisensituationen des Hinterbauernhofes hat Johann Imberi malen lassen. Martin ist Schutzpatron der Armen und der Soldaten. Johannes der Täufer hilft bei Krankheiten und Kopfschmerzen. Christophorus ist Schutzpatron der Reisenden. Florian schützt vor Feuer- und Wassergefahr und Unfruchtbarkeit der Felder. Wendelin ist Fürsprecher der Bauern, der Hirten und des Viehs. Josef ist Schutzpatron der Zimmerleute, Schreiner und Holzhauer. Fridolin ist zuständig bei Arm- und Beinleiden, bei Kinderkrankheiten und bei Viehseuchen. Katharina ist Schutzheilige der Ehefrauen und Mägde, sie schützt bei Kopfschmerzen. Anna hilft gegen Gicht und Fieber, sowie gegen Gewitter. Michael ist Schutzpatron gegen Blitz und Unwetter. Antonius von Padua ist nicht nur der ‚Schlampertoni‘, er ist Schutzheiliger der Pferde und Esel, gegen Viehkrankheiten und für eine gute Ernte. Georg ist Schutzpatron der Bauern, der Pferde, gegen Fieber, Pest und für gutes Wetter. Zuständig bei Geschwüren, Infektionen, Pest und Seuchen ist der Heilige Sebastian.
Im Dreißigjährigen Krieg wütete die Pest auch im Schwarzwald, noch 1687 gab es einen Ausbruch in Grafenhausen. Im 18. Jahrhundert lösten die Pocken die Pest als schlimmste Krankheit ab, der man hilflos ausgesetzt war. Und auch das durch Läuse übertragene Fleckfieber, das durchziehende Truppen in den napoleonischen Kriegen in den Schwarzwald einschleppten, ließ die Menschen verzweifeln. Man konnte nur noch beten.
Wie realistisch die Nöte immer wieder waren, daran erinnert auch die Glocke der Kapelle. Laut Inschrift haben sie Georg Schmid und Anna Mahler 1833 gießen lassen. Das Ehepaar hatte drei Kinder mit geistiger Behinderung, der Hof kam in finanzielle Schwierigkeiten und so kaufte der Staat den Hof auf. Heute ist die Hinterbauernhofkapelle Eigentum des Landes Baden-Württemberg. Ein Nachbau der Kapelle ist übrigens im Steinwasen-Park bei Oberried zu finden, der damit „den Schwarzwald nicht nur in seiner Landschaft, sondern auch in der Geschichte und Tradition erlebbar“ machen will.