Feuersprung an Johanni
Ein Johannisfeuer ganz besonderer Art konnte lange Zeit man letzten Samstag im Juni in Soultzbach-les-Bains, dem schmucken, Städtchen im Münstertal, miterleben. Das ist nicht verwunderlich, ist doch der Schutzpatron des Orts Johannes der Täufer, dessen Gedenktag auf den 25. Juni fällt. Die Johanneskirche mit dem Friedhof steht auf einer kleinen Anhöhe am Stadtrand. Das ehemalige Badeörtchen ist mit seinen gut erhaltenen Stadtmauern, dem Schloss und den schmucken Fachwerkhäusern ein Bijou des Vallée de Munster. Seit 1294 herrschten hier die Herren von Hattstatt, die 1603 von jenen von Schauenburg abgelöst wurden. Unter letzteren wurde das Bad ausgebaut und das Schloss zum Kurhotel umgewandelt. Sogar Casanova soll sich hier 1782 aufgehalten haben. Im übrigen verlustierte sich hier vor allem die ‹bessere Gesellschaft› von Colmar und Basel. Heute beherbergt das Schloss die Altersresidenz Sainte-Anne.
Kam man am Samstag gegen Abend vor Johanni ins Städtchen, herrschte die berühmte Stille vor dem Sturm. Dabei war es am Nachmittag zugegangen wie in einem Bienenhaus. Die Conscrits – die neu ausgehobenen Rekruten – , hier ‹Melisse› genannt, hatten Körbe voller roter Rosen in den Gärten geerntet, und die gleichaltrigen Mädchen hatten Stunden damit verbracht, Blüte an Blüte auf grosse Hüte zu applizieren. Spät in der Nacht sollen diese Hüte die Köpfe ihrer Liebsten vor der Hitze schützen, wenn sie nach altem Brauch durchs Feuer springen.
Der riesige Holzstoss auf der Anhöhe stand beim Eindunkeln bereit. Rund sieben Meter hoch war der mit grünem Tannenreis abgedeckte Haufen aus reinem Rebholz. Bald war Musik zu hören, und ein kleiner Umzug mit den Honoratioren des Orts, den Sapeurs-Pompiers, den ‹Melisse› und ihren Begleiterinnen zog durch die Altstadt und führte hinauf zum Hügel. Aus einem kleinen Vorfeuer trug eines der Mädchen dann die Flammen zum grossen Holzstoss hinüber. Währenddessen ließen die Conscris ihre Fackeln auflodern und vollführten in einer langen Reihe einen wilden Reigen, als ob sie sich Mut anfachen wollten. Sobald das Hauptfeuer etwas zurück gegangen war, bahnten die Feuerwehrleute mit einem Balken einen Weg durch die Glut, durch den die ‹Melisse› schreiten werden. Der Älteste sprang mit wehender Trikolore voraus, sein Halstuch übers Gesicht gezogen, die andern mutig hintennach. Dreimal wurde die Mutprobe vollzogen. Wer sie bestand, galt von nun an als Erwachsener. In den letzten Jahren gab es vermehrt Probleme, so dass die Gemeinde nach Johanni 2022 beschloss, diesen gefährlichen Brauch zu beenden.
Grandiose Johannisfeuer lodern in Nächten rund um die Zeit der Sommersonnenwende an unzähligen Orten im Elsass. Bis zu zwanzig Meter hoch sind die üblicherweise kunstvoll aus Holzbalken viereckig aufgetürmten ‹Fackeln›; berühmt sind vor allem jene auf den Höhen des Amarin-Tales zwischen Moosch und Kruth. Sie sind die Überbleibsel eines alten Sonnenwendkultes, der in ganz Europa verbreitet war. In der Schweiz ist das Johannisfeuer beispielsweise durch die 1890 eingeführten Höhenfeuer zum Nationalfeiertag am 1. August verdrängt worden.
Weil es der Kirche nicht gelang, die ‹heidnischen› Feste an der Sonnenwende abzuschaffen, verlegte man sie im frühen Mittelalter auf den wichtigsten christlichen Feiertag in diesem Zeitraum, den Geburtstag Johannes des Täufers vom 25. Juni, der jeweils am Vorabend gefeiert wird. Johannes wird übrigens als einziger Heiliger am Geburtstag und nicht am Todestag geehrt. Seinem Festtag steht im Jahreslauf das Datum der Geburt Christi zur Wintersonnenwende exakt gegenüber.
Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein verband sich mit dem Johannistag und der vorausgehenden Nacht eine Unmenge von magischen Vorstellungen und Praktiken. Verbreitet war das Umtanzen des Flammenstosses und wie in Soultzbach-les-Bains der Sprung durchs Feuer, verbunden mit allerlei Segenswünschen. Eltern trugen dabei ihre Kinder auf den Armen, um sie vor Krankheiten zu schützen, und jungen Paaren sollte der Sprung durchs Feuer zur Heirat verhelfen, wenn sie dabei die Hände nicht losliessen. Zur Bewahrung vor Seuchen trieb man auch das Vieh durch die Glut. In Epinal, Metz soll man noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogenannte Hexentiere wie Kröten, Schlangen und Katzen im Johannisfeuer lebendig verbrannt haben, wie Michèle Bardout in ihrem Buch ‹La paille et le feu› ausführt. Der Rauch des Feuers sollte die Luft von bösen Geistern reinigen und gutes Wetter bewirken. In dieser Tradition steht auch das ‹Tanneverbrenne› in Thann (Crémation des trois sapins) jeweils am 30. Juni. Noch heute sammeln die Menschen dort Holzkohlenreste des Feuers ein, die, zuhause aufbewahrt, vor Feuersbrunst schützen sollen.