Einbeth-Kirche auf dem Annaplatz
Ein kleiner idyllischer Platz im Freiburger Stadtteil Wiehre versetzt den Besucher in eine andere Welt. Mitten in der großen und lebendigen Stadt Freiburg fühlt man sich in ein kleines altes Dorf versetzt. Der Annaplatz in der Mittelwiehre mit dem spätbarocken Kirchlein St. Cyriak und Perpetua ist ein ganz intimer Platz.
In einer Urkunde vom 30. August 1008 übertrug Kaiser Heinrich II. dem Basler Bischof Adalbero den königlichen Wildbann (Jagdrecht) in einem Gebiet des Breisgaus – hier werden auch die Dörfer Adelhausen und Wiehre erstmals genannt. In dem Gebiet durfte nun ohne die Erlaubnis des Bischofs und seiner Nachfolger keiner mehr ein wildes Tier jagen. Diese Orte sind also älter als die Stadt Freiburg, die von den Zähringern 1120 gegründet und mit Marktrecht versehen wurde. Die Siedlung Wiehre lag vor 1000 Jahren entlang der Dreisam, von der sie auch den Namen bezogen hat, denn das althochdeutsche Wort „wuora“ bedeutet „Wehr“ oder „Damm“ , meint also Wasserbauten, die man zur besseren Nutzung der Wasserkraft durch Mühlen gebaut hatte. Etwas südlich davon lag das kleine Bauerndorf Adelhausen, im Zentrum eine gemeinsame Pfarrkirche, und diese war der vom Volk verehrten Jungfrau Einbeth geweiht. „Die Kirche entstund wahrscheinlich auf der Stelle, wo ein uraltes Sacellum (Heiligtum) gelegen, welches einer der drei Jungfrauen Einbete, Werbete und Vilbete geweiht war. Diese heidnische Trias galt unter dem Volke als besonders wohltätig und ging nicht selten in den christlichen Cultus über“ vermutete 1870 der badische Historiker Josef Bader. „Ohne Zweifel gehörten die drei Jungfrauen ursprünglich der keltischen Welt an…“. Archäologen werden dazu heute wohl kaum noch etwas nachweisen können nach den vielen Zerstörungen in späteren Kriegen.
Nahe der Einbethenkriche in Adelhausen gab es zwei Klöster. Schon 1234 zum ersten Mal erwähnt war der Konvent der Dominikanerinnen von Mariä Verkündigung, das später als Kloster Adelhausen firmierte. 1297 schenkte Graf Egoni II. von Freiburg weiteren Dominikanerinnen das Gelände für den Bau des zweiten Klosters Sankt Katharina. Die Dominikaner betrachteten das Fortleben heidnischer Bräuche immer mit Sorge, das mag der Grund dafür gewesen sein, dass im Jahre 1263 der Dominikaner Albertus Magnus die Einbethenkirche den Heiligen Märtyrern Cyriak und Perpetua umweihte. Cyriak war gerade in Mode gekommen, da 1049 Papst Leo IX beim Besuch des Elsass aus Rom Reliquien des Cyriak mitgebraucht hatte.
Doch über vier Jahrhunderte hielten die Bewohner immer noch fest an der alten Heiligen des Ortes, sie nannten ihr Kirchlein „Sant Einbeten Lütkilche“. Urkunden von 1297, 1354, 1412, 1428, 1460, 1472 nennen St. Einbeth als Patronin. Im Jahr 1500 werden „Schwestern der Klause zu Sannt Einbetten“ erwähnt, welche vielleicht die Wallfahrt betreuten. Eine Rechnung des Frühmessners von 1615 erwähnt als Hauptfeiertage das Fest des St. Cyriak und den St. Einbethentag, ein Bruderschaftsmeister „unserer lieben Frauen in St. Einbet zue Adelhausen“ wird in einer Urkunde 1625 erwähnt. Das zeigt die große Bedeutung dieser drei Jungfrauen Einbeth, Vilbeth und Warbeth, sie werden auch die drei Bethen genannt. Meist werden sie als gütige Frauen beschrieben, die weisen Rat erteilen, Gaben schenken und mit denen man auch über das Schicksal reden oder verhandeln kann. Die Menschen glaubten an die Kraft der Bethen, zu Pestzeiten pilgerten viele zu ihnen. Vor allem Frauen wandten sich in „Kindsnöten“ an sie, baten sie um Fruchtbarkeit und für den Schutz bei Geburten, Krankheiten und Tod.
An vielen Orten wurden Drei Jungfrauen verehrt, doch oft wurden andere Geschichten dazu erzählt. Auch in Straßburg wurde Einbeth verehrt, in Alt-St.Peter gab es eine Einbethkapelle. Dort erzählt eine Legende aus dem 14. Jahrhundert von Drei Jungfrauen aus der Gesellschaft der hl. Ursula. Sie seien mit ihr von Rom nach Straßburg gekommen. Als hier die hl. Aurelia, ebenfalls eine aus der Schar der 11.000 Jungfrauen, erkrankte, blieben sie bei ihr und pflegten sie. Nach Aurelias Tod verließen sie Straßburg nicht mehr, starben dortselbst im Jahre 237 und wurden in der Kirche Alt-St.Peter begraben. Lange Zeit waren sie vergessen, bis durch göttliche Fügung ihre Grabstätte samt einer Inschrift, die ihre Namen und ihre Schicksale verzeichnete, entdeckt wurde. So macht die Legende hier in Straßburg die rätselhaften Jungfrauen Einbeth, Vilbeth und Warbeth zu historischen Personen, in Alt-St.Peter wurde ihr Grab verehrt. Von Wundern und Wallfahrten wird berichtet, Reliquien wurden von dort in andere Kirchen überführt – doch nicht nach Adelhausen.
Anna von Munzingen, Tochter einer angesehenen alten Patrizierfamilie, wurde 1316 zur Priorin des 1234 gegründeten Dominikanerinnenklosters Adelhausen gewählt. Damals lag Adelhausen weit vor den Toren der Stadt Freiburg, es galt nicht nur als das älteste, sondern auch als das vornehmste Frauenkloster der Stadt. Mit dem 30-jährigen Krieg brachen fürchterliche zerstörerische Zeiten über den Ort, die Kirche wurde drei Mal zerstört. Nach Plünderung und Zerstörung ihrer Klöster zogen die Nonnen in die Stadt. Der Ausbau von Freiburg zur Festung machte die Rückkehr an den angestammten Platz unmöglich und so entstand innerhalb der Mauern in der Schneckenvorstadt das Kloster Neu-Adelhausen, nur hier allein hat sich der alte Ortsname bis heute erhalten. Das Dorf erstand wieder nach Schleifung der Festung rund um die ab 1753 neu erbaute kleine Barockkirche. Diese wird nun im Volksmund „Annakirchle“ genannt, im Gedenken an die berühmte Priorin des ersten Klosters. Der Kult um Einbeth ist über all diese Ereignisse allerdings verloren gegangen.
„Aber so schön der Platz ist – man darf die weniger idyllischen Gegenbilder nicht vergessen. Der großartige Lyriker Wolfgang Heidenreich hat in seinem Gedicht „Annaplatz“ aus dem Band „Maische“ der Doppelnatur des Platzes eindrucksvolle Verse gewidmet: Von hier aus wurden die zusammengetriebenen Wiehremer Juden am 22. Oktober 1940 nach Gurs in die Hölle des Lagers abtransportiert. So ist der Annaplatz zu jenem Ort geworden, der die städtische Idylle mit der Erinnerung an die Brutalität der Geschichte vereint. Wer sich heute auf den Bänken des Platzes niederlässt, begleitet von vitalem Kinderlärm und dem Schlagen der Kirchenglocke, wird dessen inne, dass er hier, auf dem wahrhaftig himmlischen Annaplatz, nur für einen vergehenden Moment zu Hause ist“ – so schreibt der Philosoph Ludger Lüdkehaus über diesen geschichtsträchtigen Platz in Freiburg.