Michaelskapelle und Mithras-Tempel
Reist man an den nördlichen Kaiserstuhl, erblickt man schon von weitem das Wahrzeichen von Riegel. Auf dem Michaelsberg thront die uralte kleine Michaelskapelle, darunter stehen die mächtigen Gebäude der ehemaligen Riegeler-Brauerei. Die erste Erwähnung einer Michaelskapelle stammt von 971. Um 1150/1170 wurde auf dem Michaelsberg eine Burg errichtet, die Kapelle wurde zur Burgkapelle umgewandelt. Ab Ende des 14.Jahrhunderts war die Burg nicht mehr bewohnt und verfiel. Die Kapelle wurde ab 1465 erneuert, später erweitert und gepflegt. Ab 1651 sind Wallfahrten überliefert, ab 1712 wurde eine Sakristei angebaut, ab 1714 lebte ein Eremit in einer kleinen Bruderwohnung. Während der Reformen von Kaiser Joseph II (1780-90) drohte der Abriss, doch schließlich hatte der Widerstand der Bürger Erfolg und die Kapelle durfte stehen bleiben – bis auf den heutigen Tag.
Die Kapelle erreicht man über einen steilen Fußpfad durch die unbezwingbar scheinende Felswand. Ein bequemer Weg führt aus der Stadt über die ‚Wolfsgrube‘ durch einen eindrucksvollen tiefer Hohlweg hinauf. Über den Rebterrassen erhebt sich der Kapellenberg mit einer steilen Nordflanke, die südlichen Felder trennt ein tiefer Burggraben.
In der Felswand unterhalb der Kapelle fanden 1892 Arbeiter eine Grabstelle. Sie war ganz spektakulär in 30 Metern Höhe in die Lösswand eingebettet. Schmuckbeigaben lassen annehmen, dass hier in der Bronzezeit eine Frau bestattet wurde. Bereits 1900 fand man oben auf dem Michaelsberg Scherben einer Urne, die einst vielleicht in einem keltischen Grabhügel bestattet war. Später könnte ein römischer Tempel für Merkur hier oben gestanden haben, wie an vielen anderen Orten gefolgt von einem christlichen Heiligtum für Michael. Seit dem zweiten Weltkrieg sind leider all diese Funde verschollen.
Von der Michaelskapelle hat man eine herrliche Aussicht. Nach Westen schweift der Blick über Weinberge am Fuß des Kaiserstuhlvulkans. Der Limberg bei Sasbach ragt einzeln heraus, dahinter liegt die Kette der Vogesen im Elsass. Die breite Rheinebene erstreckt sich im Norden bis zum Horizont. Sie ist intensiv landwirtschaftlich genutzt, Reste der alten Auenwälder sind noch im Taubergießen erhalten. Im Osten und Südosten öffnet sich die Breisgauer Bucht bis nach Freiburg. Dahinter erhebt sich die Kette der Schwarzwaldberge, bei klarer Sicht erkennt man die Gipfel von Kandel und Belchen. Zu Füssen des Michaelsberges liegt der Zusammenfluss von Glotter, Dreisam und Elz. Einst war hier ein sumpfiges Gelände, immer wieder heimgesucht von großen Überschwemmungen. Erst mit dem Bau des Leopoldkanals zwischen 1837 und 1842 wurden diese Naturkatastrophen eingedämmt. Eine natürliche Geländeterrasse bot hervorragenden Schutz für Siedlungen an der Stelle des heutigen Riegel seit der Jungsteinzeit.
Die einmalige strategische Lage von Riegel haben die Menschen früh erkannt. Der West-Ost-Verkehr kam mit den natürlichen Rheinübergängen bei Sasbach und Jechtingen aus Gallien und führte über Riegel weiter nach Hüfingen im Schwarzwald, der Nord-Süd-Verkehr verlief von Mainz durch Riegel über Basel nach Burgund. Die ältesten Siedlungsspuren aus der Jungsteinzeit sind 7000 Jahre alt, zwei Siedlungsgruben aus der Hügelgräberbronzezeit (ca. 1500-1300 v.Chr.) hat man gefunden. Umfangreiche Spuren der keltischen Epoche datieren ins 2.Jhdt.v.Chr., herausragend ist darunter der kleine ‚Schatzfund‘ aus insgesamt 27 keltischen Goldmünzen. Sie waren ursprünglich in einem kleinen Keramikgefäß in der Erde deponiert worden. In römischer Zeit entwickelte sich der Verkehrsknotenpunkt. Für einen Truppenverband wurde ein Kastell errichtet, daneben entwickelte sich eine große römische Zivilsiedlung. Später entstand ein Forum mit Basilika, „Regula“ wurde Sitz einer kaiserlichen Verwaltungsbehörde.
Aus jener Zeit gibt es ein kleines Freilichtmuseum mit einem Mithrastempel. In einem Neubaugebiet am Westrand von Riegel war hier schon 1932 ein Opferstein für Mithras mit der Inschrift des Stifters entdeckt worden. In den 1974er-Jahren hat man das Mithräum vollständig ausgegraben und konserviert. Einfaches Mauerwerk von etwa 7×10 Meter ist ins Erdreich eingetieft, es gab einen Oberbau aus Holzfachwerk. Informationstafeln erläutern den Kult, ein steinernes Relief (Abguss eines Fundes aus Rückingen/Heilbronn) zeigt das wichtigste Kultbild, das Stieropfer des Mithras. Nach der Mythologie hat Mithras diesen Stier verfolgt, eingefangen und auf seinen Schultern in eine Höhle getragen, wo er ihn zur Erneuerung der Welt opferte. Aus dem Blut und Samen des Stiers regenerieren sich die Erde und alles Leben. Die Perser kannten schon im 14.Jhdt.v.Chr. einen Lichtgott Mithras. Abbildungen zeigen Mithras mit dem Sonnengott Helios. Er führte später oft den Beinamen Sol invictus, der ‚unbesiegte Sonnengott‘, der Herrscher des Kosmos.
Händler aus dem Orient hatten vermutlich im 2.Jhdt. den Mithraskult in den Westen mitgebracht. Über 200 Mithräen hat man bisher im römischen Reich gefunden. Sie sind leicht zu erkennen durch ihre spezielle Architektur, der Hauptraum ist ein ‚Speisesaal‘. Nach dem Kirchenhistoriker Manfred Clauss zeigt solch ein ‚Bankettsaal‘ für eine kleine überschaubare Gemeinschaft die zentrale Bedeutung des Kultmahls. Ein irdisches Mahl soll das kultische Siegesmahl abbilden, das Mithras mit dem Sonnengott Sol abgehalten hat, vor ihrer gemeinsamen Fahrt mit dem Sonnenwagen. Auf manchen steinernen Reliefs bildet der getötete Stier einen Tisch, daran sitzen Sol und Mithras, damit sollen sie teilhaben an der magischen Kraft, die vom getöteten Stier ausgeht. Die Kirchenväter Justin und Tertullian beschreiben Ende des 2.Jahrhunderts das Kultmahl der Christen, welches mit genau den gleichen Vorstellungen und Zeremonien abgehalten wird. Gleichzeitig diffamieren sie die Mithras-Mysterien, dass dort ‘der Teufel die Handlungen der göttlichen Sakramente nachäffe‘.
In nahezu allen antiken Kulturen finden sich Opfergaben von Brot und Wein. Das Mahl stiftet Verbindung der Gläubigen untereinander. Es ist eine der ältesten Anschauungsformen der Vereinigung mit dem Geistigen. Doch die Christen sahen das anders, sie glaubten sich allein im Besitz der Wahrheit. Als sie seit Kaiser Konstantin (gest. 327) auf die Förderung durch die römischen Herrscher setzen konnten, waren sie nicht länger auf Mahnungen und Diffamierungen allein angewiesen, sie konnten nun mit Gewalt gegen andere Religionsgemeinschaften vorgehen. ‚… die Höhle des Mithras und all die unnatürlichen Bildnisse … wurden zerstört, zerstückelt und verbrannt‘ schreibt Kirchenvater Hieronymus 377 in einem Brief. Archäologen finden bei Ausgrabungen immer wieder Spuren von diesen gewaltsamen Zerstörungen, so auch im Mithräum Straßbourg-Koenigshoffen. Als das Christentum 391 durch Kaiser Theodosius I. zur Staatsreligion wurde, war die Ausübung anderer Religionen bei Todesstrafe verboten. Ende des 4.Jahrhunderts war das Ende der Mithräen gekommen und die Erinnerungen in kurzer Zeit gründlich gelöscht. Der Streit ‚um das wahre Brotopfer‘ war entschieden.