Wallfahrt zu Euphrosyne
Von Basels ältester Brücke, der Mittleren Brücke, hat man einen faszinierenden Blick auf die Rheinfront von Kleinbasel. Dort locken lange Spaziergänge entlang der Uferpromenade, auf schattigen Sitzplätzen unter Bäumen kann man verweilen, an mehreren ‚Buvetten‘ kann man Speisen und Getränke genießen, die Uferbefestigungen laden zum Sonnenbad ein. Wenige Meter flussabwärts fällt ein großer Gebäudekomplex besonders auf. Zur Rheinfront steht die ehemalige Kaserne, dahinter steht eine große inzwischen umgebaute alte Kirche, daneben liegt das älteste Gebäude, das ‚Museum Kleines Klingental‘. Es handelt sich um den „Gründungsbau“ des ehemaligen Nonnenklosters Klingental. Für einen besonders romantischen Zugang wählt man eine der vier Drahtseinfähren . Mit dem ‚Vogel Gryff‘ setzt man über den Rhein und legt direkt vor dem ‚Museum Kleines Klingental‘ an.
Im Erdgeschoss betritt man einen großen Saal mit eindrucksvoller Holzdecke, das große Refektorium, anschließend folgen die Räume der ehemaligen Klosterküche mit rauchgeschwärzter Balkendecke. Heute sind hier Originalskulpturen des Basler Münsters ausgestellt, um sie vor weiterer Zerstörung zu retten. Die Wunderwerke der mittelalterlichen Steinmetzkunst wirken sehr eindringlich aus dieser nahen Perspektive. In einem Anbau sieht man die gotische Schaffneistube, sie ist getäfelt und mit einer Holzdecke aus dem 15. Jahrhundert ausgestattet. Hier arbeitete die ‚Schaffnerin‘, die für das leibliche Wohl der Nonnen zuständig war, und vom Guckfenster aus den Klostereingang und die Lieferanten überwachen konnte. Im Obergeschoss ist der ehemalige Speisesaal aus dem Jahr 1508 weitgehend im Originalzustand erhalten. Von diesem kleinen Refektorium hat man eine prächtige Aussicht auf den Rhein und die Grossbasler Stadtsilhouette. Auch sind einige Klosterzellen erhalten in denen die Nonnen, später Bedienstete des Klosters lebten. Weitere Räume werden für Ausstellungen genutzt. Höhepunkt sind hier die wunderbaren großen Modelle von Stadt und Kloster, mit denen man noch mehr in mittelalterliche Zeiten eintauchen kann, die ganze Geschichte des Klosters Klingental entfaltet sich.
Die Geschichte des Klosters beginnt 1274, als 12 Stiftsdamen ihr Kloster in Wehr aufgeben mussten. Der Minnesänger und Ritter Walther von Klingen hatte den Nonnen reiche Stiftungen gemacht. In Kleinbasel kauften die Nonnen einen Besitz am ‚Niederen Teich‘ mit drei Mühlen und einer Säge. Innerhalb von nur 13 Wochen konnte der ‚Gründungsbau‘ direkt an der Stadtmauer fertiggestellt werden. Von Anfang an war aber geplant, für einen großen Klosterbau die Stadtmauer nach Norden zu erweitern. Der Rat der Stadt genehmigte die Erweiterung, die Nonnen bezahlten die neue Stadtmauer. Die Hauptaufgabe der Nonnen bestand im Totengedenken und in Erziehung und Ausbildung von Mädchen zu künftigen Nonnen. Dank Geschenken und Stiftungen der Adligen, dank dem hohen Einkaufsgeld der Klosterfrauen und ihrer Erbschaften, nicht zuletzt auch dank ihrem außergewöhnlichen Geschäftssinn, wurde Klingental zum reichsten und vornehmsten der 10 Klöster der Stadt Basel. Neben dem großen Klostergelände mit einträglichen Gewerbebetrieben besaß es auch noch zahlreiche Ländereien im Elsass und im Breisgau. Die geistlichen Angelegenheiten im Klingental besorgten Predigermönche als Beichtväter und Kapläne. Vermutlich durch sie angeregt erhielt Ende des 15. Jahrhunderts der Kreuzgang einen Totentanz-Reigen, wie im Großbasler Predigerkloster auf der anderen Rheinseite.
Die Klingentalerinnen besaßen in den Mauern ihres Klosters einen außerordentlichen Heilsschatz, das Grab der heiligen Euphrosyne, einer Cousine der heiligen Ursula. Es war das einzige Heiligengrab Basels, das viele Bürger der Stadt und Pilger aus dem näheren Umland anlockte. Die Gebeine der Euphrosyne kamen offenbar durch Reliquienhandel von Köln in das Basler Dominikanerinnenkloster, ein möglicher Übermittler könnte Johann von Köln sein, der 1308-1328 als Kaplan in Klingental wirkte. Die Heilige genoss große Popularität im 15. Jahrhundert, von vielen Wallfahrten wird berichtet. Der Papst erteilte 1452 Ablass für den «ruhmwürdigen Leib» der Heiligen. Durch die Aufhebung des Klosters nach der Reformation sind die Zeugnisse der bedeutenden Wallfahrt verloren gegangen. Beim Umbau der Kirche zu Lagerhaus und Kaserne im 17.Jahrhundert wurde das Grab zerstört. Nur ein Bogen auf der nördlichen Außenseite des heutigen Ateliergebäudes erinnert an die Position des Grabes. Die Reliquien gelangten im 17. Jahrhundert in das Kloster Muri im Aargau, das Inventar verzeichnet dort «Rel(iquiœ) S.Euphrosyna?».
Alle Unruhen um Reformen im Kloster endeten endgültig 1529 mit dem Bildersturm der Reformation. Man drängte darauf, dass sich die Nonnen verheiraten und das Kloster verlassen sollten, 14 Nonnen ließen sich nach und nach auszahlen, jedoch nicht alle. Mit der Übernahme des Klosters hatte der Rat sich zu gedulden bis die letzte Nonne Ursula von Fulach 1559 mit einer Leibrente entschädigt wurde. Das städtische Schaffneramt verwaltete nun die Güter und vermietete die Gebäude. In das einst reich ausgestattete Gotteshaus wurden schon im 17. Jahrhundert Böden für mehrere Stockwerke eingezogen. Die umgebaute Kirche diente zeitweilig als Salzmagazin, später als Pferdestall, Militärküche und Mannschaftssäle waren eingerichtet, es gab eine Polizeiwache und Arrestzellen.
Glücklicherweise hat der Basler Bäckermeister und großartige Maler Emanuel Büchel im Auftrag des Basler Rates die Totentanzgemälde zusammen mit den Inschriften in den Jahren 1766/67 festgehalten. Der Kreuzgang, der damals an eine Baufirma als Lager vermietet war, verfiel mehr und mehr und musste schließlich 1860 dem Neubau der Kaserne weichen. Das Maßwerkgitter vom Grabmal der Euphrosyne wurde in den Kreuzgang des Münsters hinübergerettet. Nachdem das Militär 1966 ausgezogen war, entstanden in der Klosterkirche 40 Künstlerateliers. Der ‚Gründungsbau‘ wurde renoviert und die Basler Denkmalpflege und das ‚Museum Kleines Klingental‘ zogen ein. Dank der Zeichnungen Emanuel Büchels konnte Alfred Peter 1941/42 ein Modell des Kreuzgangs mit den Totentanz-Gemälden und dem Grab der Euphrosyne herstellen. Das ist nun im ‚Museum Kleines Klingental‘ ausgestellt.
Man verlässt diese Oase der Ruhe über die Rückseite des ‚Gründungsbaus‘, den ehemaligen Eingang des Klosters. Eine Gasse führt vorbei am ‚Beichtigerhaus‘, hier wohnten die Beichtväter der Nonnen, noch außerhalb des Klosterbezirks. Ein alter Mühlstein ziert einen kleinen schattigen Platz, die ehemaligen Mühlen des Klosters sind zu Wohnhäusern umgebaut. Wenn man genau hinschaut, erkennt man noch den Verlauf des ‚Mühlteichs‘. Mit Gründung der Stadt hatte man im 13.Jahrhundert bei der ‚Schliessi‘ Wasser von der Wiese abgezweigt, drei ‚Teiche‘ versorgten Mühlen und Sägen, später auch Färbereien in Kleinbasel. Der Ausflug ins Mittelalter endet am Torbogen des ehemaligen Klosters. Am Eckhaus ist eine alte Ansicht des Klosters gemalt und der Totentanz erinnert an den Kreuzgang der Nonnen. Mit wenigen Schritten gelangt man von hier in das lebendige Kleinbasel mit seinen vielen Geschäften und Gaststätten.