Vitus in der Höhle der Aurelie
Hoch über dem Flüsschen Zorn öffnet sich im roten Sandsteinfelsen eine große Grotte mit einer sehr merkwürdigen Geschichte. In einer knappen Stunde erreicht man diese Höhle. An dem uralten Kultort wird Saint Vit / Vitus / Veit / Saint Guy verehrt und um Hilfe angerufen.
Verlässt man die wunderschöne Altstadt von Saverne entlang des Rhein-Marne-Kanals nach Westen in Richtung der Zaberner Steige wird das Tal des Zorn schnell sehr eng. Auf beiden Seiten werden steile Berghänge gekrönt von Burgruinen. Die Burgen überwachten einst den wichtigen Vogesen-Übergang an der Straße von Straßburg nach Metz. Zahlreiche Wanderwege erschließen heute riesige wunderbare Wälder.
Erste Erwähnung von Wallfahrten findet man im 14. Jahrhundert. 1520 wird von einem ersten Einsiedler hier oben berichtet, im 16. Jahrhundert sei die Wallfahrt bei über 120 Pfarreien im Elsass, in Lothringen und Baden bekannt gewesen.
Die Grotte erhielt 1604 auch den Namen „Kapelle der Heiligen Aurelie von Straßburg“. Die heilige Aurelie war der Legende nach eine Gefährtin der Ursula von Köln, die krank in Straßburg zurückbleiben musste, als Ursula nach Köln weiterfuhr, und die dennoch wie die anderen das Martyrium erlitt. Frauen mit gynäkologischen Problemen oder in der Not eines Kindes deponierten in der Höhle krötenförmige Ex-Votos. Dieser Brauch unbekannten Ursprungs hielt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an. Diese Praxis wurde jedoch 1758 durch den Kardinal von Rohan, Bischof von Straßburg, verboten. Er bat um die Reinigung des Oratoriums der Heiligen Aurelia, verbot die Messe in der Grotte und ließ die Statuen und Ex-Votos dort entfernen.
1792 umfasste die Stätte, die dem Bischof von Straßburg gehörte, zwei Kapellen (eine in der Höhle und eine auf dem Felsen) und eine Einsiedelei. Während der Französischen Revolution 1793 wurde das Gelände in einen Bauernhof umgewandelt. Dort wurde eine Scheune mit einem Gewölbekeller errichtet. 1796 wurde der Besitz als Staatseigentum an Maurice Kolb, einen Forstinspektor, verkauft. Die Pilgerfahrt wurde 1818 wieder aufgenommen. 1865 zerstörte ein Feuer den Bauernhof und die als Scheune genutzte Kapelle. Die Restaurierung des gesamten Heiligtums begann nach dem Zweiten Weltkrieg dank der Gesellschaft ‚Freunde der Grotte des Heiligen Vitus‘. Jedes Jahr wird in der Höhle eine Messe anlässlich des Heiligen Veit gefeiert. Der wird bei Epilepsie, Hysterie, Schlangenbiss, Blitz und Ungewitter, Unfruchtbarkeit und Bettnässen angerufen.
Das spektakulärste Ereignis fand hier während der ‚Tanzepidemie von Straßburg‘ statt, eine der seltsamsten Epidemien der Medizingeschichte. Im Sommer 1518 tanzten plötzlich einige 100 Menschen auf den Straßen von Straßburg – und das über viele Wochen. Manche starben vor Erschöpfung – viele wurden auf Wagen geladen und zu dieser Veitsgrotte gefahren. Dem Chronisten Daniel Specklin zufolge „mussten die Patienten ihre blutigen Füße in roten Schuhen tragen, sie gingen um den Altar herum, während sie mit Weihwasser bespritzt wurden. Dann wurden sie mit dem Heiligen Christus unterzeichnet, und es wurde eine Messe gelesen. Diese Behandlung sicherte die Heilung von fast allen.“ Die armen Menschen waren in einen Trance-Zustand geraten. Schwere Hungersnöte und Krankheiten hatten zu starken psychischen Belastungen geführt, in frommer Furcht glaubten sie an einen Fluch des Veit, wegen ihrer Sünden auf ewig tanzen zu müssen.