Keltischer Grabhügel, Hexentreff, Mondkalender
Villingen kann auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurückblicken. Im Jahr 999 wurde der Stadt durch Kaiser Otto III. das Markt-, Münz- und Zollrecht verliehen. Die Zähringer gründeten Villingen 1119 auf der rechten Seite der Brigach neu, dabei entstand das für Zähringerstädte typische Straßenkreuz. Nach einer fast fünfhundertjährigen Zugehörigkeit zum Hause Habsburg als vorderösterreichische Stadt wurde Villingen im 19. Jahrhundert Amtsstadt im Großherzogtum Baden. Teile der ehemals inneren Stadtmauer sind erhalten, und viele ältere Häuser in der Altstadt mit der großen Fußgängerzone können den Besucher in frühere Zeiten versetzen. In ganz andere, sehr viel ältere Zeiten wird man versetzt, wenn man den neuen „Keltenpfad“ zum Magdalenenbergle unter die Füße nimmt.
Der flache Bergrücken südwestlich der Stadt wird teilweise landwirtschaftlich genutzt, ein Teil gehört zum Waldgebiet „Laible“. Ein weiter Blick schweift über die Hochebene der Baar, bei klarer Sicht kann man sogar die Alpen erkennen. Zahlreiche Wege laden Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer ein, diese fantastische Weite zu genießen. Gekrönt wird alles von einem riesigen flachen Hügel, der erst auf den zweiten Blick auffällt, aber doch klar erkennbar ein Menschenwerk ist. Neue Infotafeln helfen, sich an diesem sonderbaren Ort zurecht zu finden.
Im Mittelalter kannten die Menschen diesen Orte an dem es „nicht geheuer ist“, wo Hexen und Teufel ihr Unwesen treiben. Eine erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1320 unter dem Namen „Creützbühel“, auf einer Karte von 1610 ist ein „Maria magdalenen creitz“ auf dem Hügel eingezeichnet, eine Belagerungsskizze von 1704 zeigt an dieser Stelle ein Lothringer Kreuz. 1633 gestand eine Bürgerin unter dem „peinlichen Verhör“ – der damalige Begriff für Folter – , auf dem Hügel mit dem Teufel unter dem Namen „Cäsperlin“ getanzt zu haben. Später schien er in Vergessenheit zu geraten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde man auf den Hügel aufmerksam, 1890 erfolgte eine Ausgrabung, zunächst unter großen Schwierigkeiten, da sehr viel Wasser im Hügel gespeichert war. Allerdings führte diese Feuchtigkeit zu einer einzigartigen Erhaltung des organischen Materials wie Holz, Leder, Fell, Haaren und Textilien. In 6 Metern Tiefe wurde eine große Grabkammer sichtbar, ehemals sehr reich ausgestattet, offensichtlich ein „Fürstengrab“. In den 70er-Jahren gab es erneute Ausgrabungen, die zu vielen neuen, spannenden, rätselhaften Erkenntnissen führten. Damals wurden auch die dicken Eichenbalken der 6 mal 8 Meter großen Grabkammer gehoben und konserviert, sie sind seitdem ausgestellt im Franziskanermuseum, begleitet von vielen anderen wunderbaren Funden. Aus dendrochronologischen Untersuchungen des Holzes konnte man das Datum der Bestattung auf 616 v. Chr. bestimmen. So fand man sogar Werkzeug, mit dem Grabräuber schon 50 Jahre später den „Fürst“ mit seinen wertvollen Grabbeigaben beraubten. Großes Aufsehen erregten weitere Entdeckungen: Um die zentrale Kammer herum gab es weitere Bestattungen, mindestens 126 Gräber mit 143 Personen waren nachträglich in den Hügel eingebracht worden! Alle Skelette zeigten eine sehr auffällige Orientierung, kreisförmig um die zentrale Grabkammer gruppiert, in der Nordosthälfte mit dem Kopf im Uhrzeigersinn, in der Südwesthälfte des Hügels in entgegengesetzter Richtung. Zu den erstaunlichsten und rätselhaftesten Befunden gehörten fünf radial angelegte Reihen aus aufrecht stehenden Pfosten, auch das Holz dieser „Stangensetzungen“ war bestens erhalten. Eine dieser „Stangensetzungen“ hat man zur Veranschaulichung auf dem Hügel oberflächlich nachgebildet.
Mit einem Durchmesser von über 100 Metern und etwa 8 Metern Höhe ist der „Magdalenenbergle“ einer der größten Grabhügel der jüngeren Hallstattzeit in Mitteleuropa. So gut die moderne Ausgrabung dokumentiert ist – so groß sind noch viele unbeantwortete Fragen: Wo haben die Menschen damals gesiedelt? Gab es einen „Fürstensitz“? Hatte die exponierte Lage auf dem Bergrücken eine besondere Funktion? Kam der Reichtum aus dem Abbau von Eisenerz oder war hier ein Kreuzungspunkt von Handelsstraßen?
Manche Forscher untersuchten die Nachbestattungen unter archäoastronomischen Gesichtspunkten: Es ist ja offensichtlich, dass die Himmelsobjekte Teil unserer Umwelt sind und diese Lebenswelt ordnen, dass sie für uns Raum und Zeit eindeutig und dauerhaft strukturieren. Haben die Menschen damals die Gestirne beobachtet? Lässt sich aus den „Stangensetzungen“ ein Bezug zu einem Mondkalender nachweisen? Lassen sich aus der Lage der Gräber sogar tatsächlich Sternbilder ablesen? Hatte der Hügel daher auch eine sakrale Funktion? Kann man daraus eine Vorstellung von der Welt der Ideen und Konzepte der Menschen bekommen?
Man kennt einige weitere große Grabhügel, bei Neuhausen/Königsfeld liegt der „Judenbühl“, bei Hochdorf/Enz liegt das „Fürstengrab“, bei Hohenasperg liegt das „Kleinaspergle“, bei March Hugstetten das „Bürgle“, bei Kappel-Grafenhausen das „Fürstengrab“, mehrere Grabhügel bei Breisach am Rhein. Solche Grabhügel stellen die markantesten Zeugnisse frühkeltischen Totenbrauchtums dar. In den Gräbern fanden sich neben dem persönlichen Schmuck aus Bronze oder Gold auch Grabbeigaben wie Waffen, Keramik, Bronzegeschirr, Wagenteile und sogar Möbelstücke. Besonders reiche Grablegen werden als „Fürstengräber“ bezeichnet. Viele Objekte bezeugen weitreichende Kontakte in den Süden, sie waren wertvolle Prestigegüter. Unscheinbare Brandgräber zwischen den Hügeln gelten als Bestattungen der „einfachen“ Bevölkerung. Im Laufe der Latènezeit werden die Grabhügel von gleichförmiger ausgestatteten Flachgräbern abgelöst. Nur wenige, kleinere dieser Friedhöfe sind bekannt. Am Ende der keltischen Epoche vollzieht sich offenbar ein grundlegender Wandel im Bestattungsbrauchtum: Nun finden sich in den Siedlungen vermehrt menschliche Skelettreste, die auf eine mehrstufige Bestattungsweise und auf die Aufbewahrung von Einzelknochen im Rahmen eines Ahnenkultes schließen lassen.