Die Bärin in der Krypta
An der Route du vin zwischen Epfig und dem Odilienberg liegt das kleine Städtchen Andlau mit seiner mächtigen Kirche. Hier, im waldreichen Tal des gleichnamigen Flüsschens, überragt von den Ruinen des Château de Spesburg und der Burg der Herren von Andlau, befinden wir uns an einem sagenumwobenen Ort. Im Zentrum dominiert die riesige Abteikirche Saints-Pierre-et-Paul, die von Wallfahrern und Kunstinteressierten rege besucht wird. Wer jedoch in die Krypta hinuntersteigt, findet einen wunderbaren Ort der Stille vor. Der romanische Bau aus dem 11. Jahrhundert, mit seinen erdverbundenen, rohen Säulen und den schmucklosen Kapitellen strömt eine grosse Ruhe aus. In der Mitte des Raums fällt der Blick auf die gedrungene Skulptur einer Bärin mit geöffneter Schnauze. Zu ihren Füssen befindet sich eine runde Öffnung im Sandsteinboden, welcher magische Kräfte nachgesagt werden: Pilger stellen sich hinein und legen ihre Hand in die Schnauze der Bärin, um von Beinleiden geheilt zu werden. Der Legende nach hat hier um das Jahr 880 eine Bärenmutter die Erde aufgescharrt und damit der Kaiserin Richardis die Stelle aufgezeigt, an der ein Kloster zu gründen sei.
Die Kirche selbst ist durch mehrfachen Wiederaufbau im Laufe der Jahrhunderte ein im Stil uneinheitliches Bauwerk geworden. Unvergleichlich bleibt jedoch die zwischen 1130 und 1140 entstandene Westfassade mit einem einzigartigen Figurenfries voll von Tieren und Fabelwesen, das einen reizvollen Einblick in die Lebens- und Vorstellungswelt des Mittelalters gibt. Zu den grossen Kostbarkeiten gehört auch das reich geschmückte Portal mit Szenen aus der Genesis – von der Erschaffung Evas bis zur Vertreibung aus dem Paradies.