Ein Tempel für Merkur
Macht man sich auf den Weg zum höchsten Punkt der nördlichen Vogesen, dem Col du Donon, bemerkt man bald, wie geschichtsträchtig dieser Ort ist. Der Pass liegt westlich vom Mont Saint-Odile und ist von Schirmeck aus erreichbar. In der Zeit vom 1. bis zum 3. Jahrhundert suchten dort oben Scharen von Pilgern die Nähe zu den Göttern; zahlreiche Überreste von gallo-römischen Tempeln und Götterfiguren legen beredtes Zeugnis davon ab. Ihr Kult galt Merkur, dem höchstverehrten Gott im nordöstlichen Gallien.
Beim Aufstieg auf den Gipfel tut sich bald eine herrliche Rundsicht zu den sanften Vogesengipfeln bis in weite Ferne auf. Auf der Anhöhe erblickt man auf einem Felsvorsprung die Umrisse eines antiken Tempels. Zwar handelt es sich nur um eine gut gemeinte, bis 1958 als Museum genutzte Rekonstruktion aus dem Jahre 1869, doch das sorgfältig nachempfundene Gebäude verleiht dem Ort eine gewisse Weihe und lenkt die Gedanken der Besucher auf den einstigen kultischen Gehalt des Orts. Die antike heilige Strasse, die hier einst mit Tempeln und Stelen des keltisch-römischen Pantheons gesäumt war, ist nicht mehr zu erkennen. Bei Ausgrabungen entdeckte man eine Weihe-Inschrift, ein Gelübde an Merkur beziehungsweise den keltischen Vosegus, den Gott der Jagd, der dem Gebirgszug seinen Namen gab, und an Hekate, die oberste Göttin der Kelten in Nordostgallien. All dies zeigt deutlich die den Kelten von den Römern aufgezwungene Vermischung der Gottheiten.
Der Donon hat von der Jungsteinzeit an als Festung gedient – man hat geringe Reste einer Ringmauer gefunden. Im frühen Mittelalter ersetzte ein christliches Kloster das keltische Heiligtum, doch gelang es nicht, wie auf dem benachbarten Odilienberg, die Spiritualität des Ortes zu erhalten. Über tausend Jahre sind die antiken Reste des Donon in Vergessenheit versunken, im Bewusstsein der Bevölkerung nur noch als Legenden gegenwärtig.